© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

Wechselseitige Vorwürfe
Geschichtspolitik: In Berlin erreicht die Auseinandersetzung um den "Zug der Erinnerung" ihren Höhepunkt / Gedenken an deportierte Kinder
Ekkehard Schultz

Heftige Wortgefechte, Beleidigungen und wechselseitige Vorwürfe: Der Konflikt um den sogenannten "Zug der Erinnerung", der bereits seit über einem Jahr zwischen der gleichnamigen Bürgerinitiative und Bahnchef Hartmut Mehdorn ausgetragen wird, hat am vergangenen Wochenende einen neuen Höhepunkt erreicht. Nachdem Mehdorn dem Zug - in dessen Innerem eine Ausstellung über die Deportation von Tausenden Kindern durch die Reichsbahn während des Zweiten Weltkrieges gezeigt wird - aus technischen Gründen keinen Aufenthalt auf dem Berliner Hauptbahnhof gestattete, reagierte die Initiative mit scharfen Protesten.

Zwar hatte die Bahn alternativ zur Präsentation am Hauptbahnhof einen Halt am Ostbahnhof angeboten. Zudem gab der Konzern vergangene Woche bekannt, daß für den Zug am Bahnhof Grunewald ein Gleis zur Verfügung gestellt werde. Dennoch wertete die Initiative die partiellen Absagen bereits als Versuch, "eine fundierte Ausstellung über die Folgen der Verstrickungen der Reichsbahn in das Naziregime an einem solch stark frequentierten Ort wie dem Hauptbahnhof verhindern" zu wollen. Zudem wurde von ihr kritisiert, daß die Deutsche Bahn AG als "Erbe des 'Sondervermögens Deutsche Reichsbahn'" für die Fahrt des Zuges Trassennutzungsgebühren erhebe. Die heutige Bahn AG wolle "offensichtlich ... ein weiteres Mal an den früheren Deportationen verdienen".

Die Anfänge des "Zuges der Erinnerung" liegen im Herbst 2006. Mit Hilfe einer Bürgerinitiative sollte eine deutsche Überarbeitung der Ausstellung "11.000 Kinder" von Beate und Serge Klarsfeld erfolgen. "11.000 Kinder" wurde zwischen 2002 und 2005 in 18 großen Bahnhöfen in Frankreich gezeigt. Das Material wurde als Grundlage für die aktuelle Ausstellung genutzt.

Die Bürgerinitiative wurde insbesondere von Vertretern von SPD, Grünen und PDS sowie von jüdischen Organisationen in Deutschland unterstützt. Ihr gemeinsames Ziel bestand zum einen darin, die historischen Ereignisse in das Gedächtnis zu rufen. Zum anderen sollte die Aufgabe des "Zuges der Erinnerung" darin bestehen, "antifaschistisches und zivilgesellschaftliches Engagement vor Ort zu unterstützen". Die Initiative rief auf ihrer Internetseite einzelne Bürger und Vereine dazu auf, sich für einen Aufenthalt des Zuges an ihrem Ort einzusetzen. Auf diesem Wege sollen "alternative Strukturen" in den Kommunen gestärkt werden.

Obwohl die Bahn seit November 2007 dem Zug bereits in rund 40 Bahnhöfen ein separates Gleis zur Verfügung gestellt hat, kam es seither regelmäßig zu Protesten, sobald der Konzern den Initiatoren der Ausstellung den Aufenthalt auf einer gewünschten Station untersagte, etwa auf den sehr stark frequentierten Hauptbahnhöfen Hamburg und Köln. So erklärte das Internationale Auschwitz Komitee, daß "sowohl die finanziellen Auflagen als auch das Sperren von wichtigen Bahnhöfen für den 'Zug der Erinnerung' unverständlich und inakzeptabel" seien. Der Präsident des Komitees, Noah Flug, sprach von einer "würdelosen Haltung der Deutschen Bahn AG gegenüber einem so wichtigen bürgerschaftlichen Engagement". Der Konzern beschädige damit "das Ansehen Deutschlands" und ermutige zugleich "Rechtsextreme in Europa". Für einen Eklat hatte bereits zuvor der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Michael Szentei-Heise, gesorgt, indem er Bahnchef Mehdorn als "inneren Nazi" bezeichnete.

Bereits im Oktober 2006 war Mehdorn bei der Bürgerinitiative und ihren Sympathisanten in die Kritik geraten. Damals hatte er sich für eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas ausgesprochen. Von seiten der Initiative wurde Mehdorn jedoch vorgehalten, auf diesem Wege der Öffentlichkeit "dieses traurige Kapitel der eigenen Konzerngeschichte" vorenthalten zu wollen. Ebenso traf die Äußerung des Bahnchefs, daß die Geschichte der Deportationen viel zu ernst sei, "als daß man sich brötchenkauend und in Eile auf dem Weg zum Zug damit beschäftigen kann", auf deutliches Mißfallen.

Inzwischen haben sich die Fronten noch weiter verhärtet: Das jüngste Angebot der Bahn AG, daß der Konzern 100.000 Euro an jüdische Einrichtungen spenden wolle, wurde vom Zentralrat der Juden in Deutschland zurückgewiesen. Einen "Ablaßhandel" mit der Erinnerung dürfe es nicht geben.

Weitere Informationen im Internet unter www.zug-der-erinnerung.de

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