© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

CD: Klassik
Gute Gründe
Andreas Strittmatter

Vielleicht war es nicht mehr als ein bauernschlauer Kniff Anton Bruckners, um seine Musik einem nicht immer geneigten Publikum schmackhafter zu machen, als er seiner Vierten Symphonie in Es-Dur bereits im Titel der Urfassung von 1874 das Prädikat "romantisch" aufdrücke? Bis heute streitet sich die Musikwissenschaft, worin die "romantische" Eigenart in Abgrenzung zu anderen Bruckner-Symphonien eigentlich bestehe.

Der Komponist hatte zwar 1890 mit Wächter- und Vogelruf (1. Satz), Gebet und Ständchen (2. Satz), Jagd und Waldjause (3. Satz) einige intuitive Gedanken nachgereicht, doch handelt es sich hierbei eher um punktuelle Assoziationen als um ein symphonisches Programm - Assoziationen, die zudem durch die Umarbeitungen der Vierten in ihrer Vollzahl nicht von Anfang an vorhanden sein konnten (das sogenannte Jagd-Scherzo als dritter Satz entstand beispielsweise erst 1878).

Als kleinster gemeinsamer Nenner des unmittelbar widerfahrenden Romantischen in der Vierten Symphonie gilt immerhin der viermalige Hornruf über diffusen Tremoli der Streicher zur Eröffnung. Das Moment wirkt wie ein Antworten auf Brentanos Evokation "Sprich aus der Ferne, heimlich Welt ..."

Romantik hin oder her - unter allen Symphonien Bruckners ist die Vierte der Hörer liebstes Kind, entsprechend umfangreich ist die Auswahl der Einspielungen. Wer eine Neuaufnahme vorlegt, sollte also gute Gründe haben. Der Dirigent Enoch zu Guttenberg und das Orchester der Klang- Verwaltung, das sich explizit der Umsetzung der musikalischen Visionen des Dirigenten verschrieben hat, können solche Gründe geltend machen und haben auf dem kleinen und feinen Hauslabel Farao Classics einen Konzertmitschnitt aus dem Wiener Musikverein veröffentlicht.

Um einen Einspruch kommt man anfangs nicht herum. Wenn die Auskunft, man habe die "Dritte Fassung 1887-1889" als Grundlage gewählt, der Wirklichkeit entspräche, wäre auch dies ein guter Grund gewesen. Die Angabe läßt vermuten, es handle sich um die jüngst vorgelegte und kaum auf Tonträgern realisierte kritische Ausgabe von Benjamin M. Korstvedt, während faktisch die alte, sehr häufig gespielte Haas-Edition der zweiten Fassung von 1936 zu hören ist. Die Unterschiede schreien zwar nicht zum Himmel (man hört etwa Paukenwirbel, von denen sich bei Korstvedt keine Spur findet, oder ein paar Takte mehr im Scherzo), aber wer - und solche Zeitgenossen gibt es auch heute noch - zu jeder Fassung einer Symphonie die entsprechende Scheibe im Schrank wissen will, der könnte sich über den Tisch gezogen fühlen (außerdem sind Rezensenten genervt, die sich die vermeintlich passende Taschenpartitur extra zulegen).

Zu den guten Gründen: Selten ist es bislang gelungen, Bruckner so durchhörbar und transparent zu musizieren, ohne die auf Homogenität zielende Intensität des häufig von der Orgel her gedachten Volumenklangs Brucknerscher Symphonik zu beschneiden. Guttenberg balanciert die einzelnen Instrumentengruppen hervorragend aus. Selbst das hoch nuancenreich entbotene solistische (Zusammen-)Spiel einzelner Instrumente verläuft sich durch kluge Regie von Interaktion und Klang nie im Selbstzweck, sondern weiß sich als anteilige Entfaltung eines übergeordneten Ganzen im Strom dramatischer Ausfaltung und Entwicklung eingebunden. Musiziert wird hierbei auf des Messers Schneide: arm an Vibrato und dennoch rund im Klang die Streicher, pointiert die Bläser, deutlich, aber nicht dröhnend das Blech. Nicht zuletzt lebt die Einspielung aus der künstlerischen Kompromisslosigkeit eines Dirigenten, der Perfektion mit Phantasie verbindet - und von Musikern, die ihm auf diesem Weg uneingeschränkt folgen.

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