© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

Feindschaften von unvorstellbarem Ausmaß
Der streitbare Greifswalder Althistoriker Egon Flaig sehnt das "Verenden des Multikulturalismus" herbei
Pascal Maier

Egon Flaig hat wieder zugeschlagen. Nicht wie sonst vor großem Publikum, in FAZ oder Merkur, sondern im Lesezirkel der Zeitschrift für Kulturphilosophie (ZKph, Heft 2/07). Auch geht es vordergründig nicht um die beiden Reizthemen mit maximalem Provokationspotential - also weder um Islam noch um Holocaust: zwei Diskursfelder, die der Greifswalder Althistoriker inzwischen ja so verzahnt hat (JF 4/08), daß der mitdenkende Zeitgenosse sinniert, ob die umvolkende Islamisierung Europas unter dem Panier des Multikulturalismus nicht als zweiter "Zivilisationsbruch" ins Haus steht.

Doch mußte man diesen "Multikulturalismus" bislang eher implizit als Bindeglied zwischen den beiden von Flaig erörterten "sensiblen" Materien verstehen. Diesmal rückt er ins Zentrum einer Attacke gegen den Ethnologen Claude Lévi-Strauss. Im Untertitel ist denn auch gewohnt polemisch vom "Verenden des Multikulturalismus" die Rede. Wer sich nun aber auf eine späte wissenschaftliche Fundierung des nach Theo van Goghs Ermordung eilig proklamierten "grandiosen Scheiterns" (Angela Merkel) von Multikulti freut, ist auf dem Holzweg. Flaig begibt sich hier nicht ins Gewusel von "Leitkultur" und "Parallelgesellschaft", wo Formate wie Claudia Roth oder Wolfgang Bosbach sich spreizen.

Damit scheint sein Begriff von Multikulturalismus zunächst einmal an Aktualität einzubüßen. Denn in der Rückschau verweilt er lange in der Gründungsphase der Unesco und setzt sich intensiv mit deren Verständnis von "Kultur" auseinander, auf das Lévi-Strauss Einfluß nahm. Die 1952 verabschiedete Unesco-Deklaration über "menschliche Rassen" gab der UN-Menschenrechtserklärung (1948) einen kulturellen Mantel. Deren Postulat der Gleichheit aller Menschen fand ihre Unesco-Entsprechung in der Anerkennung der "Gleichheit der Kulturen". Entsprechend dem Willen, jeglichen "Rassismus" - also sowohl naturalistisch wie idealistisch sich legitimierende Hierarchisierung von Kulturen - zu ächten, sollten die "unterschiedlichen Kulturen sich gegenseitig als gleichwertig anerkennen".

Dieser bis heute unangefochtene "Unesco-Multikulturalismus", als dessen geistigen Urheber "Meisterdenker" Alain Finkielkraut Johann Gottfried Herder und seine in die Genese des Nationalismus einzureihende "Volksgeist"-Spekulation identifiziert habe, sei aber völlig unvereinbar mit dem Universalismus der Menschenrechte, den Flaig dagegen in Stellung bringt. Nichts beweise dies schlagender als die im August 1990 in Kairo von der Organisation der islamischen Konferenz verabschiedete "Erklärung der Menschenrechte im Islam". Darin unterstünden alle Rechte der Scharia. Das heißt: "Wenn die Scharia den Menschenrechten übergeordnet ist, dann gibt es eben keine Menschenrechte, dann gilt eben die Scharia."

Damit ist Flaig dann doch wieder in der Gegenwart und auf einem der beiden Minenfelder angelangt, auf denen er sich sonst publizistisch tummelt. Der Islam, so lautet die zackige These, ist ein Hauptprofiteur des Unesco-Multikulturalismus. Unter Berufung auf die "Gleichwertigkeit" aller Kulturen, auf die Gleichrangigkeit ihrer "Eigenarten", zu der im Islam etwa die niedere Stellung der Frau zähle, lasse sich jede "menschenrechtlich" argumentierende Kritik als "imperialistische Einmischung" und "westlicher Rassismus" denunzieren. "Wenn alle Kulturen in sich selber die höchste Wertigkeit finden und es kein 'Gesetz' über ihnen gibt, dann hat die exterminatorischste Kultur dieselbe Daseinsberechtigung wie alle anderen." Wenn die "Vernichtung der Juden" zur "essentiellen Besonderheit" der "NS-Kultur" gehöre - und vom Standpunkt des Multikulturalismus sei gegen diese Variante "kultureller Selbstbehauptung" nichts einzuwenden -, dann "hört Auschwitz auf, ein Verbrechen zu sein".

Noch eine weitere brisante Folgerung müsse aus der von Lévi-Strauss in "Rasse und Geschichte" (1972) explizierten Unesco-Ideologie gezogen werden. Da das Pluriversum der Kulturen für den französischen Ethnologen ein Wert an sich ist, soll "interkulturelle Abstoßung" diese "Artenvielfalt" konservieren. Hebelt die "demographische Explosion" mit ihren migrationsbedingten "Vermengungen unvorstellbaren Ausmaßes" den "Mechanismus gegenseitiger Abstoßung" aber aus und gebiert "Agglomerationen ungekannter Größen", muß dies horrible Verwerfungen zeitigen, wenn auf begrenztem (europäischen) Raum "Selbstbehauptung" praktizierende Kulturen aufeinanderprallen. Es entstehen dann "interkulturelle Feindschaften, wie es bislang noch keine gegeben hat". Mit solchen "apokalyptischen Befürchtungen", die sich aber mit eiserner Logik aus seinen anti-universalistischen Axiomen ergäben, habe Lévi-Strauss "längst vor Huntington künftige 'clashes of civilizations' angekündigt".

Daß der Multikulturalismus gerade den islamistischen Anti-Universalisten überdies einige unverdiente Mitnahmeeffekte beschert, fällt bei Flaig erschwerend ins Gewicht. So habe "stumpfsinniges Halbwissen" von "braven Antirassisten" wie George L. Mosse oder Imanuel Geiss die aufgeklärte westliche Kultur als exklusiven Urheber des "Rassismus" angeprangert. Der viel ältere, mit 17 Millionen Opfern den europäischen "Kolonialrassismus" weit übertrumpfende "Hautfarbenrassismus" islamisch-arabischer "Versklaver" werde dagegen verschwiegen - mit der "perversen" Konsequenz, daß "Reparationen wegen der Sklaverei" allein vom Westen gefordert würden. Aber nur dem westlichen Universalismus sei die Abschaffung der Sklaverei zu danken, in keiner anderen Kultur "gab es nur den Schimmer eines Versuchs", sie in Frage zu stellen.

Da die westliche eben "universaler" als anderen Kulturen sei, würde das ersehnte Verglühen des "Kulturrelativismus" im globalen "Kampf um die Deutungshoheit" bei Flaig mehr als nur klammheimliche Freude auslösen. Höchste Zeit sei es daher, sich von Lévi-Strauss zu verabschieden. Ob die von Flaig schwärmerisch besungene, auf "rückhaltlos universalistischen Prämissen" basierende Kultur Europas und Nordamerikas weniger apokalyptische Perspektiven eröffnet, ist indes zweifelhaft. Unzweifelhaft ist hingegen, daß die "Universalien" nicht im "interkulturellen Diskurs erarbeitet" werden können, wie sich das die dabei wirrköpfig auf deutsche "Vernichtungspolitik" in Südwestafrika verweisende Privatdozentin Heike Kämpf erträumt, deren Replik die auf neutralisierende "Ausgewogenheit" bedachte linksliberale ZKph-Redaktion Flaigs Provokationen flugs angepappt hat.

Foto: Selbst Trittbrett bleibt Frauen versperrt - Männerwelt im Jemen: Gleichrangigkeit aller "Eigenarten"

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