© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

Nach dem großen Sieg
Vietnam im Jahr 1975
Werner Olles

Als Mitarbeiter des Kinderhilfswerks Terre des hommes erlebt Walter Skrobanek Ende April 1975 die fluchtartige Evakuierung der US-Armee im von der Außenwelt abgeschnittenen Saigon. In der Stunde der wohl größten militärischen Niederlage der USA beginnt er Tagebuch zu schreiben, aus der deutlichen Ahnung heraus, daß um ihn herum Geschichte geschieht. Die "Befreiung" Südvietnams durch die Freischärler der kommunistischen Nationalen Befreiungsfront (FNL) oder Vietcong und die Truppen des legendären nordvietnamesischen Generals Võ Nguyên Giáp begrüßt er zunächst ebenso wie den schnellen Zusammenbruch des alten Marionetten-Regimes der US-Amerikaner.

Doch nach der ersten Freude über den Sieg der Revolutionäre erwacht die Zukunftsangst. Dem von einem Tag auf den anderen ausbrechenden unbeschreiblichen Chaos steht auch die Politische Abteilung der regulären nordvietnamesischen Truppen hilflos gegenüber. Meldungen über die öffentliche Hinrichtung der Mitarbeiter des südvietnamesischen Präsidenten Nguyên Văn Thiêu verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Selbst für Kinder, die bei Plünderungen erwischt werden, gilt das Standrecht; sie werden zur Abschreckung an Telegrafenmasten aufgehängt. Erstmals kommen ihm Zweifel, ob die Befreiungsfront wirklich von vielen Bewohnern Saigons unterstützt wird.

Skrobanek beschönigt nichts und verschweigt auch nicht seine Ernüchterung über die krude Mechanik der neuen Machtverhältnisse. Seine Schilderung des dramatischen Umbruchs in den ersten Monaten nach der "Befreiung", die mit hohen Erwartungen einhergeht, wird immer pessimistischer. Dennoch versteht er sich als Linker, der ernsthaft daran glaubt, daß "der Sozialismus den Humanismus befördern will" - angesichts der Greueltaten der Kommunisten reichlich naiv.

Sehr interessant ist auch seine differenzierte Beurteilung über die sich anbahnenden schweren Konflikte zwischen den Militärs des Nordens und der FNL Südvietnams, die beide offenbar recht unterschiedliche Vorstellungen über die Regierungspolitik und über die Wiedervereinigung hatten. So gab es bei der Befreiungsfront wohl eine starke Gruppe, die ein neutrales, blockfreies Südvietnam mit Sozialisten und Nationalisten an der politischen Spitze bevorzugt hätte. Doch hatte sie gegen den von der Sowjetunion unterstützten nordvietnamesischen Plan einer schnellen Wiedervereinigung keine Chance

Walter Skrobanek: Nach der Befreiung. Tagebuch aus Vietnam 1975. Horlemann Verlag, Bad Honnef 2008, broschiert, 254 Seiten, 16,90 Euro

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