© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Kolumne
Unheimliche Werbewelt
Thor Kunkel

Die Werbung wird immer unheimlicher: Da zieht Fidel Castro in eine halb verfallene Villa auf Havanna, nur um dort den großen Toten der Weltrevolution zu begegnen. Schon am Eingang kommt ihm ein wachsgesichtiger Mao Tse-Tung mit den Mülltüten entgegen. Auch die anderen Alt-Kommunisten sind versammelt: Lenin, Rosa Luxemburg und Ho-Chi Minh vertreiben sich die Zeit in einer abgewrackten Rentner-Kommune, deren Verwahrlosung bereits ein bedenkliches Ausmaß erreicht hat.  Ist Castro bereits im Jenseits? Dem kubanischen Staatschef steht die Fassungslosigkeit im Gesicht. Wie versteinert schreitet er durch die vergammelten Räume. Zuletzt erklärt Karl Marx hemdsärmelig die Situation: Auf die Frage Che Guevaras, ob es nicht an der Zeit für eine Revolution sei, antwortet er: "Che, diesmal geht es um die Bedürfnisse der Menschen." Und verweist bildlich auf den neuen Wagen des rumänischen Renault-Abkömmlings Dacia und den sagenhaften Preis von 8.400 Euro (www.dacia.de)! Diese Mutation zum Spottpreis-Vehikel hätte sich der Weltkommunismus sicher nicht träumen lassen.

Noch unheimlicher wird es, wenn man den Citroën-C5-Werbespot für Großbritannien betrachtet (www.citroen.co.uk), in dem eine heile, typisch deutsche Welt mit ewig rauschenden Wäldern, Mensurfechtern und einer holden Ausschank-Walküre inszeniert wird. Der Spot bespiegelt das teutonische Großmannstum auf nicht unsympathische Weise und charakterisiert dann ausgerechnet ein französisches Auto als "Unverkennbar deutsch"! Scheinbar hat man sich zumindest in England von den alten Feindbildern verabschiedet und versucht neue Sympathieträger zu entdecken.

Der Beobachter des Zeitgeistes fragt sich dennoch, ob hinter solch bizarren Populär-Manifestationen mehr steckt als nur die von den Marktgesetzen diktierte Absicht der Auto-Nationen, ihre Landesgrenzen zu verwischen. Der Verzicht auf ideologische und nationale Unterschiede entspricht genau den Forderungen der Politik und des Hyperwettbewerbs. Die Kaufkräfte müssen neu programmiert werden, alte Vorurteile verschwinden. Ob sich in diesen Spots bereits das neue Europa ohne störende Diskriminanten ankündigt - dieser apolitische Zwitter aus Großmarkt und Freizeitpark, in dem jeder mit jedem können muß und kulturelle Unterschiede nur noch als Gewürzpartikel im ansonsten allzu reibungslosen Konsumprozeß dienen? Ernst genommen wird in diesem Leben ohnehin nur noch der Preis.

 

Thor Kunkel ist Schriftsteller und u.a. Autor des Bestseller Romans "Endstufe".

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