© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Kauft nicht bei Franzosen
China: Wegen der pro-tibetischen Proteste werden Boykott-Aufrufe lanciert / Deutsche Wirtschaft in Sorge
Albrecht Rothacher

Hunderte von Internetforen sind sich einig: Ab dem 1. Mai, dem Tag der Werktätigen und des "Shopping" in China, sollen die einhundert Supermärkte der französischen Carrefour-Gruppe boykottiert werden. Der Pariser Konzern ist nach Wal-Mart (USA) das zweitgrößte Einzelhandelsunternehmen der Welt. Daneben gibt es jede Menge anderer Boykottvorschläge: Kosmetika von L'Oreal, Louis-Vuitton-Handtaschen, Mode von Chanel und Autos von Peugeot. Selbst auf ihren geliebten Cognac wollen viele (reiche) Chinesen verzichten. Es wird auch gefordert, die Flugzeug-Kaufverträge mit Airbus und EADS zu stornieren.

Den Volkszorn der Chinesen haben die Bilder von den Protesten gegen den Fackellauf in Paris erregt, vor allem eine Szene, in der ein Tibet-Demonstrant die die Fackel tragende beinamputierte Rollstuhlfahrerin Jin Jing bedrängt. Die nur höchst einseitig informierte chinesische Öffentlichkeit glaubt, die Proteste seien Ausdruck des westlichen Ressentiments gegen den chinesischen Wirtschaftserfolg. Sie gelten als Versuch der Europäer und Amerikaner - im Verein mit den bösartigen Separatisten der "Dalai-Clique" -, den Chinesen die Olympischen Spiele, jenen symbolischen Triumph  des Erreichens der Weltspitze, aus Neid zu verderben.

Nach den Ursachen der Proteste wird nicht gefragt. Denn in den sorgfältig zensierten chinesischen Medien werden nur Szenen der Gewalt von jenem Morgen des 14. März gezeigt, als in Lhasa chinesische Geschäfte brannten. Es ist auch nur von 14 chinesischen Todesopfern und nie von den Polizeieinsätzen die Rede. Ohnehin sehen die meisten Chinesen - ebenso wie die KP-Führung - in der tibetischen Kultur, Sprache und Religion keine sonderlich schützenwerte Tradition, sondern wie im Fall der anderen nationalen Minderheiten (Uiguren, Mongolen oder Manchu) nur die touristisch nutzbare Folklore rückständiger Nomaden, deren einzige Chance auf Wohlstand in der umfassenden Assimilation und Sinisierung liegt.

Der Widerstand gegen diese Wohltaten der chinesischen Zivilisation und die Weisheit der KP kann nur dem anti-patriotischem Übelwollen entstammen. Entsprechend gilt der Dalai Lama als Unperson, dem das Gespräch verweigert wird, und seine Anhänger werden in China blutig verfolgt. Die spontane, oft romantische westliche Solidarität mit dem ums kulturelle Überleben kämpfenden Tibetern ist den Chinesen völlig unverständlich. Von der brutalen chinesischen Kolonialpolitik auf dem Dach der Welt, dem Wüten der Kulturrevolution, den Zwangsabtreibungen, Massenverhaftungen, der Diskriminierung der Tibeter auf dem Arbeitsmarkt, der Herabwürdigung tibetischer Heiligtümer zu Touristenattraktionen und der gezielten Massenansiedlung von Han-Chinesen bekommen sie nichts mit.

Noch richtet sich der furor sinicus hauptsächlich gegen die Franzosen, die deshalb Senatspräsident Christian Poncelet ins Reich der Mitte entsandten, um medienwirksam ein "Entschuldigungsschreiben" von Präsident Nicolas Sarkozy an den "lächelnden Engel im Rollstuhl" zu übergeben.

Doch könnte sich der organisierte Volkszorn auch gegen deutsche Produkte richten - etwa, wenn der Dalai Lama im Mai wieder nach Deutschland kommt und beifällig empfangen wird. Auch verbreitet die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua die "Meldung", bei einer Tibet-Konferenz (die die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung im Mai 2007 in Brüssel veranstaltet hat) sei im Beisein von Samdhong Rinpoche, dem Chef der Exilregierung, der tibetische Aufstandsplan für das Olympiajahr verfaßt worden. Teilnehmer streiten dies vehement ab.

Der Asien-Pazifik-Ausschuß der deutschen Wirtschaft traf sich letzte Woche schon zu einer Sondersitzung. Sein Chef, der BASF-Vorstandvorsitzende Jürgen Hambrecht, teilte demonstrativ mit, er werde - ebenso wie die Vorstände von Siemens, VW und Adidas - die Eröffnungsfeierlichkeiten am 8. August in Peking besuchen. Der Sportausrüster und die Wolfsburger haben als Hauptsponsoren über 100 Millionen Dollar in die Olympiade versenkt. Volkswagen stiftet einen Wagenpark von 6.000 Fahrzeugen, um die Athleten und Funktionäre zu den Olympiastätten zu fahren. Adidas spendiert die Sportkleidung aller Teilnehmer, darunter auch jener chinesischen Geheimpolizisten, die mit den drei Streifen am blauen Trainingsanzug die olympische Fackel in London, Paris und San Francisco zu schützen versuchten.

Über die "spontane" Boykottkampagne der Chinesen wird in der Staatspresse beifällig berichtet. Ohnehin kann sich bei der strengen Internet-Zensur in China Protest nur mit dem Segen der Staatsführung ausbreiten. Viel erinnert dabei an die Anti-Japan-Kampagne von vor drei Jahren, als Premier Junichiro Koizumi am Yasukuni-Schrein der japanischen Kriegstoten gedachte und so chinesische Empfindsamkeiten verletzte. Der organisierte Volkszorn durfte sich damals einige Wochen austoben, wurde dann kanalisiert und schließlich abgestellt.

Auch diesmal hat die Kampagne alle Zeichen eines gesteuerten Warnschusses, um die furchtsamen Europäer zu erschrecken. Keinesfalls will China die Spiele mit einem weltweiten Gesichtsverlust selbst gefährden, oder gar zum Opfer einer umgekehrten Boykottkampagne werden. Denn bei einen Handelsüberschuß von sage und schreibe 160 Milliarden Euro (2007) gegenüber der EU ist es von dem lukrativen europäischen Markt wesentlich abhängiger, als es die Europäer von dem stark abgeschotteten und schwierigen chinesischen Markt sind. Sieben Prozent der deutschen Importe kamen 2007 aus China - aber nur drei Prozent der Exporte gingen dorthin. Sollten sich die Europäer eines schönen Tages zum Nichtkauf chinesischer Importe verabreden, so könnten sie unschwer Millionen an heimischen industriellen Arbeitsplätzen retten oder wieder schaffen. Diese Logik ist der neomerkantilistischen Führung in Peking nicht fremd. In Europa gilt sie freilich noch als protektionistisches Tabu.

Foto: Chinesische Carrefour-Filiale: Staatlich organisierter Volkszorn

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