© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Der Schatz aus Radebeul
Bleichgesichter feilschen um Winnetous Erbe: Was ist der Nachlaß von Karl May wert?
Paul Leonhard

Unterschiedliche Preisvorstellungen über den Nachlaß des Abenteuerschriftstellers Karl May (1842-1912) sorgen zur Zeit für einen Streit zwischen Verleger Lothar Schmid und dem Freistaat Sachsen. Es geht um zehn handschriftlich verfaßte Werkmanuskripte sowie Gedichte, musikalische Kompositionen, Briefe, Reisepässe und Notizen. Für die insgesamt rund 10.000 Seiten verlangt Schmid 15 Millionen Euro.

Sachsens Kultusministerin Eva-Maria Stange (SPD) möchte den Nachlaß des geistigen Vaters von Kara Ben Nemsi, Old Shatterhand und Winnetou komplett nach Radebeul holen und ist bereit, dafür zu zahlen. Allerdings nur 3,5 Millionen Euro - eine Summer, die Schmid empört abgelehnt hat. Ein ursprünglich für Montag dieser Woche angesetztes persönliches Treffen mit der Ministerin ließ er absagen.

Der aus Radebeul bei Dresden stammende Lothar Schmid hat ein Leben im Banne Karl Mays gelebt - und auch kräftig am weltweiten Interesse Generationen jugendlicher Leser am Werk des sächsischen Abenteuerschriftstellers verdient. Denn Schmid ist Besitzer des Karl-May-Verlages Bamberg. Sein Vater, Euchar Albrecht Schmid, hatte 1913 zusammen mit Mays Witwe Klara und dem Verleger Ernst Fehsenfeld den Karl-May-Verlag Radebeul gegründet. Da die SED-Oberen kein Interesse am Werk des "Spinners aus Radebeul" hatten und es auch nicht drucken ließen, wurde der Verlag samt Nachlaß Mays 1960 an die inzwischen in Bamberg lebenden Schmids veräußert.

Lothar Schmid, dem der Verlag seit 1992 allein gehört, verlegt Karl May nicht nur, sondern er hat dafür gesorgt, daß der Nachlaß des meistgelesenen deutschen Schriftstellers zusammenblieb. Dafür hat er nach eigenen Angaben einen Kredit aufgenommen, um seine beiden Brüder auszahlen zu können. Außerdem hat Schmid die Hinterlassenschaft Mays katalogisiert.

Kurz vor Vollendung seines achten Lebensjahrzehntes will sich der Verleger von seinem Lebenswerk trennen. Der komplette Nachlaß sollte nach Sachsen und der potentielle Käufer der Freistaat Sachsen sein. Denn im sächsischen Ernstthal war May geboren, in Radebeul hatte er gelebt, sich die Villa Shatterhand bauen lassen und war hier gestorben. In Radebeul gibt es seit 1985 das Karl-May-Museum, und auch Mays Möbel und Bibliothek konnten zurückgekauft werden.

Gespräche über den Rückkauf des Nachlasses laufen seit 1999. Den Wert der Papiere bezifferte Schmid bereits Ende 2004 auf 30 Millionen, seine finanziellen Vorstellungen mit 15 Millionen Euro. Der Verleger beruft sich dabei auf  die Schätzungen erstrangiger Fachleute. Gutachten des Ministeriums gehen dagegen von einer bzw. sieben Millionen Euro aus.

Man wolle den Nachlaß "wahnsinnig gern" kaufen, sagt Thomas Bürger, Generaldirektor der Sächsischen Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) und von der Kultusministerin bestimmter Verhandlungspartner. Aber die Forderung von Schmid sei "utopisch". Auch Volkmar Kunze, Vorstandsvorsitzender der Karl-May-Stiftung, hält die geforderten 15 Millionen Euro für "völlig überzogen" - zumal auf sächsischer Seite niemand genau weiß, was die Sammlung Schmids tatsächlich enthält. Allgemein wird davon ausgegangen, daß es sich um handschriftliche Manuskripte von "Winnetou IV", "Im Reich des silbernen Löwen" Band III und IV, Teile von "Old Surehand" sowie "Ardistan und Dschinnistan" handelt: das Spätwerk des Schriftstellers also. Alles andere wäre auch eine Sensation gewesen, da die meisten frühen Werkhandschriften Mays nach dem Setzen in der Druckerei vernichtet wurden. "Uns liegt keine Bestandsliste vor", bestätigte das Ministerium.

War es bisher Schmids Ziel, den Nachlaß zusammenzuhalten und am Stück zu verkaufen, so droht er inzwischen damit, einzelne Stücke an private Interessenten zu veräußern. Das Anbot des Freistaats, eine Stiftung zu gründen, lehnte der Verleger ab. Dabei hätte diese Variante am ehesten der Intention von May entsprochen, der seinen Nachlaß einem gemeinnützigen Engagement zukommen lassen wollte. Einem Verkauf des Archivs ins Ausland wurde Anfang März ein Riegel vorgeschoben: Die Dokumente stehen jetzt auf der Liste zum Schutz deutscher Kulturgüter.

Foto: Karl May (1842-1912): Die SED hatte kein Interesse an ihm

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