© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Der General als Vernunftrepublikaner
Klaus Hornung porträtiert mit Wilhelm Groener eine der wirkungsmächtigsten Figuren Weichsel und Warthe. Jan der Weimarer Zeit
Andreas Graudin

Der Hohenheimer Emeritus Klaus Hornung will seine Monographie über Wilhelm Groener nicht als Biographie verstanden wissen. Eine für Biographen übliche strenge Chronologie vermeidet er, und einige Fragen bleiben offen, die Hornung bewußt an einen künftigen Biographen weiterreichen will. Gleichwohl ist es ihm gelungen, die Person und historische Rolle des Generals herauszuarbeiten, den die Revolution 1918 vom Schreibtisch des Großen Generalstabs in die grelle Sphäre des Politischen katapultierte. Dem ging eine lupenreine Offizierslaufbahn mit dem klassischen Wechsel zwischen Truppenkommandos und Stabsverwendung in Krieg und Frieden, an Front und Etappe voraus. Das Eiserne Kreuz 1. Klasse und der Orden "Pour le Mérite" belegen die persönliche Tapferkeit und militärische Fortune Groeners. Ins Auge fällt die fehlende Nobilitierung eines Generals in herausgehobener Funktion, die damals üblich war. Unklar bleibt der Grund. Richtig "angeeckt" war er nicht, sonst wäre das Amt des Generalquartiermeisters, die hergebrachte Bezeichnung für den Chef des Generalstabes, für den bürgerlichen Offizier im Oktober 1918 unerreichbar geblieben.

Mit seinem Namen verbunden sind das informelle Bündnis der Reichswehr mit der Mehrheits-SPD unter Friedrich Ebert zur Abwehr des Linksextremismus in den Wirren des Jahres 1919 und die Befürwortung der Unterzeichnung der monströsen Versailler Friedensbedingungen aus realpolitischen Gründen. In dieser Existenzfrage der Weimarer Republik beschreibt Hornung Groeners  Wandlung vom Ablehner zum Befürworter. Diese Wandlung entsprach letztlich einer realistischen Beurteilung der Lage, über die sich Groener rasch klar wurde, als er die unterstellten Kommandos über die Kriegswilligkeit von Truppe und Volk befragte. Der Opfer waren fast alle müde. Nur die Erhaltung der ohnehin prekären Reichseinheit war jetzt noch realistisch. Ohne diese Entscheidung wäre Deutschland 1919/20 besetzt und gegebenenfalls noch größere Teile im Osten und Westen annektiert worden. Den heimlichen Bruch und die Umgehung des Versailler Diktats schloß die Befürwortung der Unterzeichnung durch Groener natürlich mit ein. Leben und Zukunft des "Volksganzen" war wichtiger als der heroische Untergang der Nation oder ihre Zerstückelung.

Groeners militärische Karriere endete am 30. September 1919 mit der ehrenvollen Verabschiedung aus der Reichswehr. In der Abfolge der Funktionen als Reichsminister ist Groeners folgende zivile Karriere in Deutschland ohne Beispiel: zunächst Reichsverkehrsminister, dann ab 1928 Reichswehrminister. Höhepunkt war dabei die Doppelfunktion als Reichswehrminister und kommissarischer Reichsinnenminister unter Kanzler Heinrich Brüning ab Oktober 1931. Das Doppelamt brachte Groener dem auf ihn zurückgehenden Projekt der Schaffung einer freiwilligen Reichsmiliz näher.

Die Bildung einer republiktreuen Reichsmiliz wäre tatsächlich eine der Voraussetzungen für eine echte Alternative zu Hitler gewesen. Sie hätte die schärfste Waffe in der Hand einer Notstandsregierung gegen die Republikfeinde sein können. Ein zahlenmäßig starkes, leicht bewaffnetes Hilfsheer, eine Art Nationalgarde, hätte mit Reichwehr und Bereitschaftspolizeien ein wirksames Verbot von SA, SS und Rotfrontkämpferbund durchsetzen können. Die Reichswehr, auf sich alleine gestellt, sah sich später zur Absicherung einer präsidialen Diktatur gegen die Hitler-Bewegung außerstande. Alle Milizpläne Groeners waren mit dem Sturz der Regierung Brüning im Mai 1932 erledigt. Brünings Nachfolger Franz von Papen und Groeners Protegé General von Schleicher setzten von da an zunehmend auf die "Einbindung" Hitlers.

Groener spielte Rollen an den entscheidenden Wegmarken der Weimarer Republik: kein Heros, kein echter Politiker im Sinne parteipolitischer und parlamentarischer Funktion, wohl weltläufig und mit weitreichenden Kontakten, aber kein Diplomat im Sinne klassischer Diplomatie. Es fällt nicht leicht, Wilhelm Groener eine der klassischen Schubladen zuzuweisen. "Gelehrter Soldat" ist eine bescheidene Charakterisierung, mit der er sicher einverstanden gewesen wäre.

Groener steht auch für ein anspruchsvolles Ethos des Offizierberufes, in dem sich Scharnhorstscher Geist spiegelt. Als Lehre aus dem Ersten Weltkrieg sollte, so Groener, der Offizier mehr beherrschen als sein dienstliches Pensum. Groener hielt nichts vom Nur-Soldaten, Waffenspezialisten und reinen Militärtechnikern. Der Offizier solle, so in einem von Hornung zitierten Redemanuskript Groeners von 1919, militärische Führereigenschaften mit Aufgeschlossenheit für politisch-historische und ökonomische Zusammenhänge verbinden. Dies war nicht als Politisierung der Reichswehr zu verstehen, sondern als Sensibilisierung für die Realitäten der damaligen Zeit. Seine Forderung nach einer Akademisierung des Offizierkorps wurde erst in der Bundeswehr umgesetzt. Gleichzeitig befürwortete Groener eigene Ehrengesetze und Ehrengerichte der Reichswehr. Er betrachtete die Offiziere noch als Stand sui generis und nicht als Akademiker oder gar Manager in Uniform.

Was bleibt von Groener? Die Erinnerung an einen General und Minister mit hohen ethischen Prinzipien, der dem Extremismus von links und rechts bis zu seinem Fall entschlossen Widerstand leistete und eigentlich in den Traditionskanon der Bundeswehr hineinpaßt. Indessen ist keine Kaserne nach ihm benannt - vielleicht weil politische Generale der Politik eher unheimlich sind. Immerhin soll in der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr ein Porträt Groeners hängen.

Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs starb der von Goebbels als "Bürogeneral" Verleumdete am 3. Mai 1939. Unklar bleibt, warum er 1934 nicht das Schicksal seines "Ziehsohnes" General von Schleicher in der Mordnacht des "Röhmputschs" teilen mußte. Groener kränkelte und pflegte nicht mehr private internationale Verbindungen wie von Schleicher, dem solches böswillig als Hochverrat ausgelegt werden konnte. Von Groener drohte Hitler 1934 keine Gefahr mehr.

Hilfreich ist die ausführliche Zeittafel am Schluß des Buches, die für die verwinkelte Geschichte der Weimarer Republik und die persönlichen Wegmarken Groeners dem Laien eine Navigationshilfe bietet.

Klaus Hornung: Alternativen zu Hitler. Wilhelm Groener - Soldat und Politiker in der Weimarer Republik. Ares Verlag, Graz 2008, gebunden, 245 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

Foto: Reichskanzler Heinrich Brüning (Mitte) und Reichsinnen- und Wehrminister Groener (rechts) am Tag der preußischen Landtagswahlen, 24. April 1932: Passend zum Traditionskanon der Bundeswehr

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