© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

"Workingman's Death" auf Arte: Qualm und Schwefel vernebeln den Blick in die Hölle
Mitten im Kohlenstoffleben
Silke Lührmann

Ist es bittere Kritik an Globalisierung und Ausbeutung in jener Welt, die auf westlichen Bestenlisten als Dritte und letzte rangiert, seit der französische Demograph Alfred Sauvy ihr 1952 dieses Attribut verpaßte? Oder doch eine Elegie auf die Wildnis in uns und um uns, auf den täglichen Existenzkampf, auf eine verlorene, fast vortechnologische Zeit, als Männer noch Männer - eben workingmen, eine Begriffsschöpfung irgendwo zwischen Klassenkampf und Sklaverei  - sein durften, sein mußten, und keine Bürohengste? Schwer zu sagen, worin der seltsame Reiz dieser bedrückenden, seit ihrer Leinwandpremiere 2005 mehrfach preisgekrönten Doku von Michael Glawogger liegt, die Arte nun als Beitrag zum Tag der Arbeit in einer TV-Erstausstrahlung zeigt (29. April, 21 Uhr).

Zu sehr ist auch die Sicht vernebelt - sei es durch den stinkend-gelblichen Dampf, in dem junge Indonesier Schwefel abbauen, den sie tagaus, tagein mühselig auf den Schultern vom Krater eines aktiven Vulkans ins Tal schleppen, und von hübschen Touristinnen oder unerschwinglichen Bon-Jovi-CDs schwärmen; sei es durch die Rauchschwaden, in denen ihre nigerianischen Altersgenossen bis zu dreihundert frisch geschlachtete Ziegen am Tag "rösten".

Indes ist die Wildnis eher Ödnis, eine geschundene, ihrerseits nach Kräften ausgebeutete Natur, und von "dürfen" kann schon gar keine Rede sein. Ukrainische Kumpel betreiben einen illegalen Stollen: "Sonst würden wir erfrieren." Morgens kriechen sie in die 40 Zentimeter hohe "Mausefalle", wo sie im Liegen mit Vorschlaghammer und Spitzhacke das Erdinnere bearbeiten. Die gewonnene Kohle wird in eine Blechwanne geschaufelt, die man später an einem Gummiband nach draußen zieht, um die Kohle zu sieben und abzufüllen.

In Pakistan setzen Paschtunen ihr Leben aufs Spiel, die mit bloßen Händen und Allahs Hilfe alte Tankschiffe verschrotten. Immer wieder fallen Sinnsprüche, die sich niemand als Stickerei an die Wand hängen würde: "Wir arbeiten, um zu leben" (Ukraine) oder "Wir leben, um zu sterben" (Pakistan).

Freilich sind dies weniger Opfer der Globalisierung, als daß sie in deren Schatten ihr Dasein fristen - zum Staunen der Abenteuerreisenden, die den javanesischen Vulkan Kawa Ijen erklimmen, aber ansonsten völlig abseits des vermeintlichen "globalen Dorfes" der Informations- und Kommunikationsgesellschaft. In deren herablassender Sprache könnte man sagen, sie stehen noch mitten im Kohlenstoffleben.

Das Kameraauge, das sie beobachtet, ohne je mit der Wimper zu zucken, entstammt einem anderen Zeitalter als die Geräte, mit denen sie ihr Tagwerk verrichten. Aber Glawogger besteht auf der unbedingten Würde dieser Menschen, der die widrigen Umstände, unter denen sie ihr täglich Brot verdienen, nichts anhaben können - im Gegenteil. Sie werden als Überlebenskünstler in einem ganz unironischen Sinn vorgeführt. 

Während an den vier apokalyptisch in Szene gesetzten Drehorten unter primitiven Bedingungen Knochenarbeit verrichtet wird, ist in Duisburg das postindustrielle Zeitalter angebrochen, eine Schöne Neue Welt, in der die Hochöfen stillstehen und die sorglose Jugend sich nachts vor der Kulisse futuristisch kunterbunt erleuchteter Zechen zum Knutschen trifft.

Im Freizeitpark Deutschland läßt Glawogger freilich nur seinen "Epilog" spielen, die "Zukunft" findet in China statt. Allein dort ist der Fortschrittsglaube und Stolz auf die - nicht zuletzt dank eigener Schufterei - brummende Wirtschaft noch virulent, den der Regisseur anfangs durch Einblendungen eines sowjetischen Propagandafilms von 1932 nicht ohne Nostalgie zitiert hat. Denn sein Blick wirkt bisweilen ebenfalls verklärt - nämlich vom Neid des Kopfarbeiters auf den Muskelarbeiter, dessen Tätigkeit "sichtbar, erklärbar, darstellbar" ist, wie Glawogger schwärmt.

Daß dank Bildung und Wissenszuwachs alles immer besser wird, davon legen in der Stahlstadt Angang Works sinnbildlich beredtes Zeugnis ab: Die in den 1930er Jahren von der japanischen Besatzungsmacht gebauten Hochöfen stehen Seite an Seite mit dem technischen Wunderwerk der "Neuen Nummer Eins" - und in Sichtweite wird bereits die "Neue Neue Nummer Eins" aus dem Boden gestampft.

Bereits mit "Megacities" (1998), einem Film über Modernisierungsverlierer  von Bombay bis New York, punktete der 1959 in Graz geborene Glawogger bei der "Armut? - Nein danke"-Zielgruppe. Wer weiß, womöglich birgt auch diesmal die ganze zur Schau gestellte Exotik des Elends einen politischen Kern, nur vernebeln Qualm und Schwefel den Blick darauf: Wenn dies aber die Hölle ist, wo ist ihr Teufel?

Foto: Schwefelträger in Indonesien (oben) und Bergbau für den Eigenbedarf in der Ukraine: Keine Arbeit für den modernen Bürohengst

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