© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Kolumne
Mittelschicht auf dem Abstellgleis
Norbert Geis

In diesen Tagen stellte das Deutsche Institut für Wirtschaft eine Studie vor, deren Ergebnisse aufrütteln. Fünf Millionen Menschen sind zwischen 2000 und 2006 in die Armut abgeglitten.

Das ist schlimm. Schlimmer noch aber ist, daß ein nicht unerheblicher Teil dieser Menschen aus der sogenannten "Mitte" kommt. Eine Mitte, die sich früher aus den Leistungsträgern unserer Gesellschaft zusammengesetzt hat: Menschen mit einem ehemals sicheren mittleren bis hohen Einkommen. Menschen, die in den Volksparteien von CDU/CSU und SPD beheimatet waren. Diese Mittelschicht zerfällt heute mehr und mehr in Arm und Reich. Das hat für unsere Gesellschaft dramatische Folgen. Schon heute besitzt das reichste Zehntel der Bevölkerung 60 Prozent des gesamten Vermögens. Nicht nur der, der wenig hat, fühlt sich zu Recht benachteiligt, sondern auch der, der viel hat. Die Steuer- und Abgabenlast trifft beide.

Ein undurchsichtiges, kompliziertes und nicht immer gerechtes Steuersystem ist eine Ursache für die eklatante Erosion der Mittelschicht.

Ohne diese Mittelschicht wird aber unser gesamtes soziales und wirtschaftliches System zusammenbrechen, denn die Mittelschicht bildet das eigentliche Rückgrat unserer Gesellschaft. Hier werden die meisten Steuern bezahlt und die meisten Arbeitsplätze geschaffen. Wie lange noch?

Viele der Leistungsträger wandern ab und bringen ihr Geld in andere Länder. Bei denjenigen, die ihre Steuern noch in Deutschland zahlen, macht sich Demotivation und Frustration breit. Das Dickicht der Steuergesetzgebung durchblickt kein normaler Mensch mehr. Wer sich den Steuerberater nicht leisten kann, hat Pech gehabt. Sein Geld verschwindet im Staatssäckel - auf Nimmerwiedersehen. Pendlerpauschalen werden gestrichen, Kinderfreibeträge nur noch bis zum 25. Lebensjahr gewährt, und die Absetzbarkeit von Werbungskosten entfällt für viele bei der Steuererklärung gänzlich. Statt immer und immer wieder hier und da ein bißchen Steuersenkung oder Erhöhung der Transferleistungen wäre eine Neuordnung des Steuerrechts wichtig.

Es kann nicht sein, daß den Familien, dem Mittelstand, der Mitte unserer Gesellschaft die finanzielle Grundlage durch ein ungerechtes und viel zu bürokratisches Steuersystem entzogen werden. Hier müssen CDU und CSU ansetzen, wenn sie die unverzichtbare Mittelschicht der Gesellschaft wieder in ihre Reihen und an die Wahlurnen holen möchten.

 

Norbert Geis (CSU) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und lebt als Rechtsanwalt in Aschaffenburg.

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