© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Sahra Wagenknecht. Wird die orthodoxe Kommunistin Vize-Chefin der Linkspartei?
Reserve der roten Utopie
Thorsten Hinz

Seit über 15 Jahren ist sie die Frontfrau der Kommunistischen Plattform in der PDS und hat seitdem weder Freund noch Feind je enttäuscht. Ihren Anhängern gilt Sahra Wagenknecht als die verdiente Rache der DDR am Westen, den Gegnern als rote Domina aus dem Geiste Stalins, und die Unpolitischen schnalzen bei ihrem Anblick mit der Zunge. Der Vorstoß Oskar Lafontaines, der nun versucht haben soll, sie als Kandidatin für den Vize-Parteivorsitz durchzusetzen, war also ein gut gezielter Paukenschlag.

Wagenknecht wurde 1969 im thüringischen Jena geboren. Ihr Philosophiestudium schloß sie mit einer Arbeit über Marx und Hegel ab. Wer im Streit mit dieser hochintelligenten, eloquenten Frau bestehen will, der muß früh aufstehen! Ihre schneidende, stakkatoartige Rhetorik ist sogar Parteifreunden unheimlich, doch auf sie verzichten kann die Linkspartei auch nicht, denn Wagenknecht personifiziert den Restbestand an Utopie, der nach innen und außen identitätsstiftend wirkt. Während aber die Links-Pragmatiker sich mit den sozioökonomischen Grundlagen der Bundesrepublik arrangiert haben und lediglich Veränderungen in Bereichen anstreben, die Marx als "gesellschaftlichen Überbau" subsumierte, greift Wagenknecht frontal "die Herrschaft des Finanzkapitals" an und fordert Veränderungen an der ökonomischen Basis, die nach marxistischer Lehre Politik und Gesellschaft determiniert.

Nicht alles, was sie sagt, ist abwegig: zum Beispiel, wenn sie die Frage nach der Legitimität der gesellschaftlichen Macht stellt, die das Großkapital ausübt. Wenn sie gegen die grenzüberschreitenden Verlustrechnungen wettert, durch die multinationale Konzerne ihre Steuerpflicht umgehen. Wenn sie die Zustimmung des Bundestags zum Vertrag von Lissabon als "eine Niederlage für die Demokratie und ein weiteres Zeichen für die Ignoranz (der) politischen Klasse" attackiert. Doch wenn sie nach einem Treffen mit dem Präsidenten von Venezuela, Hugo Chávez, von dessen "offener und charismatischer Art" schwärmt, schwanen einem die Folgen, käme sie tatsächlich einmal ans Ruder. Wagenknechts Vorschläge laufen stets auf Kollektivierung, Umverteilung, Gleichmacherei hinaus. Und wenn sie die DDR als Hort sozialer Sicherheit und Mitmenschlichkeit preist, geraten SED-Opfer an den Rand der Selbstbeherrschung, und die eigenen Genossen, in Sorge um die Außenwirkung solcher Worte, verdrehen die Augen.

Wieviel ist echt an ihrer Sophistik, und was ist kalkulierte Provokation? Kürzlich wurde Sahra Wagenknecht, die seit 2004 im Europa-Parlament sitzt, von einer Fraktionskollegin in einem Restaurant beim Hummeressen fotografiert. Anderntags entlieh Wagenknecht sich unter einem Vorwand die Kamera und löschte alle Fotos, die ihrem Image einer Rächerin der Enterbten widersprachen. Als 38jährige hat sie sich längst in eine Karikatur jener jungen, stürmischen, überspannten Idealistin verwandelt, als die sie ihre politische Karriere begann.

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