© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Führers Hand und falscher Hase
Damaliger "Stern"-Redakteur blickt zurück auf den Skandal von 1983 um die gefälschten Hitler-Tagebücher
Christian Vollradt

Als am 6. Mai 1983 der Direktor des Bundesarchivs vor versammelter Presse verkündete, den jüngst vom Stern als Hitlers Tagebücher präsentierten DIN-A4-Heften sei jegliche Authentizität abzusprechen, platzte eine Medienblase, die von den Hamburger Blattmachern zwei Wochen zuvor noch als "größte journalistische Sensation der Nachkriegszeit" angekündigt worden war.

25 Jahre danach legt nun der ehemalige Stern-Redakteur Michael Seufert seine Sicht auf die Affäre, die der Illustrierten zum Verhängnis wurde, in Buchform vor. Der Journalist war schon damals von Stern-Herausgeber Henri Nannen persönlich beauftragt worden, "schonungslos" die Wahrheit über jene Kladden mit den legendären "FH"-Initialen ans Licht zu bringen, die, wie jetzt amtlich war, in Nachkriegs-Polyester eingebunden, mit Nachkriegs-Tinte beschrieben und aus Nachkriegs-Quellensammlungen inhaltlich fehlerhaft zusammengestoppelt worden waren.

Seufert verhörte als erster ausgiebig den Kollegen Gerd Heidemann, ein bis dato anerkannter "Spürhund" der Redaktion mit leichtem NS-Spleen und als Besitzer der ehemaligen Yacht Hermann Görings in finanziellen Nöten, der schließlich als Hauptschuldiger des bräunlichen Betrugsfalls identifiziert wird. Seufert schildert Heidemanns Exklusivabkommen mit der Verlagsleitung, die Übertölpelung der Chefredaktion, die unkontrollierten Finanzaufwendungen (über neun Millionen Mark) sowie die dem ganzen zugrunde liegende, verhängnisvolle Kontaktaufnahme mit dem semi-professionellen Kunstfälscher Konrad Kujau aus Stuttgart.

Der stellte sich dem Reporter gegenüber als "Fischer" vor, nennt streng vertraulich die DDR-ansässigen Bezugsquellen seiner NS-"Originale": seinen Bruder "Heinz", angeblich General der NVA, sowie den Ehemann seiner Schwester, der Museumsdirektor von Löbau sein soll. Es wäre für die Rechercheure des Stern allerdings leicht herauszufinden gewesen, daß die Ostzonen-Truppe zwar über zwei Herren namens Fischer im Generalsrang verfügte, von denen aber keiner "Heinz" hieß, wie von Kujau ("Fischer") behauptet. Dessen in der DDR lebender Bruder hieß zwar wirklich Heinz und trug tatsächlich Uniform, aber die etwas schlichtere eines Gepäckträgers der Reichsbahn; und der Kujau-Schwager bekleidete in der Tat eine im wahrsten Sinne des Wortes Schlüsselposition im Museum der sächsischen Kleinstadt - nur nicht als Direktor, sondern als Hausmeister. So paßt es, daß die Knüller-Papiere auch nicht aus der einst in der Nähe (Börnersdorf) zerschellten Kurier-Junkers des Führerhauptquartiers stammten, sondern im Konsum des sächsischen Bautzen erworben wurden.

Daß fast alle Kenner der Materie - von Historikern wie Werner Maser über den ehemaligen Hitler-Adjutanten Nicolaus von Below - die Geschichte von Anfang an für erlogen hielten, focht die Stern-Oberen zunächst nicht an, die sich statt dessen abfällig über die "Archiv-Ayatollas" mokierten. Besonders erhellend ist die Darstellung des Insiders Seufert da, wo sie von den Blatt-internen Machtkämpfen nach der Affäre handelt: von wüsten Attacken des Betriebsrats gegen die Verlagsspitze, von tränenreichen Auftritten des Herausgebers Henri Nannen, von einer Besetzung der Redaktionsstuben und vom gewerkschaftlich unterstützten Kampf gegen den "Rechtsruck" durch die neuen Chefredakteure Johannes Gross und Peter Scholl-Latour.

Ärgerlich an Seuferts Schilderung des Skandals ist der Verzicht auf eine tieferschürfende Kritik des Stern, für die der ehemalige stellvertretende Chefredakteur vielleicht etwas zu befangen ist. Schon lange vor jener Tagebuch-Ente hatte das Magazin ungeachtet seiner sonst prononciert linksliberalen Ausrichtung immer wieder mit jenem Mann um die Aufmerksamkeit der Leser gebuhlt, dessen "unseliger Faszination (...) auch das deutsche Volk erlag", so ein Stern-Artikel 1959 über Hitler. Seufert schildert zwar detailliert die Mitwirkung der DDR-Stasi bei den Recherchetouren der Stern-Journalisten Heidemann und Thomas Walde, er vergißt auch nicht zu erwähnen, daß 2002 ein MfS-Dossier auftauchte, wonach Heidemann in den fünfziger Jahren als "Geheimer Mitarbeiter" der Spitzelfirma geführt wurde; aber ein für die Arbeit der Illustrierten weit aufschlußreicheres Detail enthält Seuffert seinen Lesern vor: Als Gegenleistung forderten die Zonen-Schlapphüte, der Stern solle einige Artikel drucken, die im Interesse des SED-Regimes seien. Zufälligerweise erschienen im Hamburger Blatt Anfang der achtziger Jahre - also just während die "Suche" nach der mysteriösen Ladung von Hitlers abgestürzter Kuriermaschine auf Hochtouren lief - einige Enthüllungsberichte über skandalöse Vorgänge in westdeutschen Nachrichtendiensten oder solche, in denen gegen die Nato-Nachrüstung Stimmung gemacht wurde. Anders als Seuffert suggeriert, haben also auch vorher schon "alle normalen Kontrollmechanismen" beim Stern gelegentlich versagt.

Letztlich waren die stümperhaft gefälschten Hitler-Diarien mit all ihren Banalitäten rund um Eva Brauns Scheinschwangerschaft eben doch nicht der "größte Presseskandal der Bundesrepublik", wie es etwas kraftmeierisch in Seuferts Klappentext heißt. Eher wurde hier auf recht drastische, aber amüsante Weise der Sensationsgier auf alles, was mit dem Untoten aus Braunau zusammenhängt, ein Spiegel vorgehalten; geschadet hat es letztlich nur dem Stern, dessen Ruf auf Jahre ruiniert war. Aber wieviel schwerer wiegt der Verstoß gegen journalistisches Berufsethos durch dasselbe Magazin, wenn es von der DDR-Diktatur lancierte Berichte begierig aufgegriffen hat, wie deren ehemalige Desinformations-Agenten nach 1989 bereitwillig offenlegten?

"Exakte Recherche und kritische Bewertung" dürften nicht durch "blindes Vertrauen" ersetzt werden, und "ideologische Scheuklappen" hätten im Journalismus nichts zu suchen, schreibt Seufert zutreffend. Es gibt abschreckendere Beispiele für die Mißachtung dieser Grundsätze als jenes der wohl teuersten Polyester-Kladden.

Foto: Der Film zum Buch vom Führer - Oscar-nominierte Komödie um den Hitler-Tagebuch-Skandal von Helmut Dietl aus dem Jahr 1992: "Da weht einen schon so etwas an, so ein Eishauch der Geschichte"

Michael Seufert: Der Skandal um die Hitler-Tagebücher. Scherz Verlag, Bern 2008, gebunden, 320 Seiten, 14,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen