© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

Ein weiß-blauer Tsunami
Umfragetief: Alleinherrschaft der CSU gerät in Gefahr / Niederlage bei der Landtagswahl hätte auch Auswirkungen auf die Bundespolitik
Paul Rosen

Das Undenkbare ist eingetreten. Die Nach-Stoiber-CSU ist in Meinungsumfragen im freien Fall und gleicht der Beck-SPD, auch wenn sie deren Keller-Werte dann doch nicht erreicht. Aber 44 Prozent in einer Umfrage des Senders Antenne Bayern  beziehungsweise 48 Prozent bei Infratest Dimap sind mehr als ein Alarmsignal. Sie sind der Beginn eines politischen Tsunami, der auch Berlin erreichen wird. Ob das weiß-blaue Tandem Erwin Huber und Günther Beckstein die Wellen noch brechen kann? Das erscheint schwierig, denn Politik gegen das Volk pflegt das Volk bei nächster Gelegenheit mit Liebesentzug auf dem Stimmzettel zu beantworten.

Gewiß, Meinungsumfragen sind immer Momentaufnahmen, und politische Stimmungen ändern sich wie das Wetter. Aber die Grundtendenz ändert sich nicht so schnell. Und die ist in Bayern seit dem erzwungenen Rückzug von Edmund Stoiber, der es im Herbst vergangenen Jahres noch auf 58 Prozent brachte, auf Talfahrt. Statt dem Volk aufs Maul zu schauen, traten die Epigonen ihm auf die Füße. Die CSU beschloß ein Rauchverbot, das einem Verbot einer ihrer tragenden Säulen, der Stammtischkultur, gleichkam. In vielen Wirtshäusern hat die CSU heute Hausverbot. Stoibers Nachfolger im Parteiamt, Erwin Huber, schlingerte in die Krise um die Bayerische Landesbank, von deren Verlusten er angeblich nichts gewußt haben wollte. Jetzt kommt Huber mit einem Steuerkonzept, das den Bürgern das Geld zurückgibt (Pendlerpauschale), das ihnen vorher genommen wurde. Die CSU sollte vorsichtig sein: Die Menschen haben ein gutes Gedächtnis.

Man nahm Abschied vom Transrapid, weil die Strecke bei den Anwohnern im Münchner Umland nicht beliebt war und der Magnetzug zu teuer wurde. Doch Ministerpräsident Günther Beckstein wirkte beim Transrapid-Abschiedsgespräch in Berlin  wie ein Knabe, der eine "Fünf" entgegennimmt. Bei der Kommunalwahl gab es die ersten Vorbeben: In Oberbayern, dem Stammland der Partei, sind CSU-Landräte seitdem eine Ausnahmeerscheinung. Besonders alarmierend: Die Freien Wähler, die in den Stadträten immer schon stark waren, haben jetzt beste Chancen, in den Landtag einzuziehen.

Führungsschwäche und  falsche Entscheidungen haben bereits ihre Auswirkungen in Berlin, wo man der CSU bescheinigen kann: Sie wird nicht mehr ernst genommen. Die CSU-Landesgruppe, einst Hort bayerischer Interessen und auch des konservativen Elements in der Unionsfraktion, hat inzwischen einen ähnlichen Stellenwert wie die hessische oder niedersächsische CDU-Landesgruppe. Der Landesgruppe und ihrem Vorsitzenden Peter Ramsauer scheint der Biß abhanden gekommen zu sein. Man verwaltet zwar mit, aber gestaltet in der Großen Koalition nichts mehr.

Die Fehler von München wiederholen sich in Berlin, wo die CSU ebenfalls Politik gegen das Volk macht. So stemmt sich Wirtschaftsminister Michael Glos unermüdlich gegen den Mindestlohn. Vorsicht wäre geboten: 70 Prozent der Bundesbürger und auch der Bayern wollen einen Mindestlohn. Selbst der Bundesverband Zeitarbeit, bisher nicht als Lordsiegelbewahrer von Arbeitnehmerrechten in Erscheinung getreten, fordert von der Politik einen Mindestlohn. Die Zeitarbeitsfirmen fürchten sich vor noch billigerer Konkurrenz, die mit Albanern oder Ukrainern arbeitet. Fast könnte man meinen, die Heuschrecken beginnen, sich gegenseitig zu verspeisen.

Verwunderlich ist, daß sich die reine kapitalistische Lehre ausgerechnet bei den Christlich-Sozialen durchsetzen konnte. Denn schon Papst Leo
XIII. schrieb in seiner Enzyklika "Rerum Novarum" 1891, als große Teile der Industriearbeiter in bitterster Armut lebten: "Dem Arbeiter den ihm gebührenden Verdienst vorenthalten, ist eine Sünde, die zum Himmel schreit." Die CSU scheint ihre Wurzeln vergessen zu haben.

Die Folgen dieses Selbstmords auf Raten sind noch unübersehbar. Deutschland ohne die bayerische Eigenbrötelei? Eigentlich unvorstellbar. Aber das Undenkbare muß inzwischen gedacht werden. Schon kursieren in Berlin Szenarien, Huber könne durch den Berliner Landwirtschaftsminister Horst Seehofer ersetzt werden. Das würde bedeuten, mitten im Wahlkampf die Pferde zu wechseln, was noch nie funktioniert hat. Auch kann Beckstein vor der Landtagswahl nicht mehr ausgewechselt werden - und vor allem: Wer soll es dann machen?

Ein Machtzentrum in der CSU ist nicht zu erkennen. Die Landtagsfraktion wirkt wie ein Hühnerhaufen, die Landesgruppe ist erratisch. Das hat natürlich auch Folgen für die große Schwesterpartei CDU. Bisher ließ sich im Norden eine eher moderate Politik machen. Der Süden brachte die wichtigen Prozente. Bei Strauß, Waigel und Stoiber war garantiert, daß zuviel vermeintliche Fortschrittlichkeit der CDU mit einem lauten bayerischen Stopsignal beantwortet wurde. Aber wer soll dieses Signal setzen? Huber wirkt wie ein Provinzpolitiker, und Beckstein wirkt müde. Kanzlerin Angela Merkel kann darüber nicht froh sein: Zwar sind die Störenfriede schwach, aber ohne sie fehlen wichtige Prozente - vielleicht sogar für die Fortführung der Kanzlerschaft über 2009 hinaus.

Foto: Ministerpräsident Günther Beckstein: Kann die CSU-Führung die Wellen noch brechen?

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