© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Mehr Freiheit wagen
Nach dem "Fall Peter Krause" / Ein Appell an Deutschlands Intellektuelle
Dieter Stein

In der vergangenen Woche hat die deutsche Demokratie in den Spiegel geblickt und ins Antlitz einer Grimasse gesehen. In Thüringen ist ein CDU-Politiker durch eine Kampagne erledigt worden, allein weil er vor seiner Tätigkeit als Abgeordneter publizistisch eine konservative Position bezogen hatte. Peter Krause, ein DDR-Oppositioneller, ehemaliger Mitstreiter des Neuen Forums, dem an einem antitotalitären Neubeginn Deutschlands nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur gelegen war, wurde zur Zielscheibe einer "tagelangen medialen Hetzjagd" (Nicolaus Fest auf bild.de). Es genügte, daß er vor zehn Jahren Redakteur der JUNGEN FREIHEIT gewesen war. Als Kultusminister für Thüringen galt er am Schluß einer zermürbenden Kampagne als "untragbar", und sein Rückzug war besiegelt.

Die FAZ beklagt in einem Resümee zur Krause-Kampagne die "Diktatur der Anständigen" und hält fest, daß die Kampagne gegen Peter Krause kein Einzelfall war: "In der politischen Auseinandersetzung gehört es längst zur Tagesordnung, Personen niederzukartätschen, die sich gegen den linken Konformismus des Landes stellen. Linkes Empörertum kennt dabei keine Gnade."

Daß solche Kampagnen, die von Linken initiiert und von einem wesentlichen Teil der Medien kritiklos mitgetragen werden, nicht ins Leere laufen, liegt an einem tief verunsicherten Bürgertum, einem konservativen Milieu und seiner Intelligenz, das sich stets in einer geschichtspolitischen, metapolitischen Defensive sieht. Im Spiegel, der jetzt im Fall Peter Krause die Kampagne mit befeuerte, schrieb Reinhard Mohr 1999, als der Philosoph Peter Sloterdijk aufgrund einer Rede zur Biopolitik ins Visier einer von Jürgen Habermas angeführten linken Empörungskampagne geriet und zum "Rechten" abgestempelt wurde, "sämtliche deutschen Großdebatten des vergangenen Jahrzehnts - ob der Walser-Bubis-Streit ..., die Polemik um Botho Strauß' 'Anschwellenden Bocksgesang', der Historikerstreit über die Singularität von Auschwitz und die Auseinandersetzung über das Holocaust-Mahnmal in Berlin" drehten sich stets "um die Interpretationshoheit über die Gegenwart, die sich in Deutschland immer noch und unweigerlich im Verhältnis zur jüngsten Vergangenheit, vor dem Hintergrund des Völkermordes an den Juden entscheidet".

Es geht um die Deutungsmacht: "Wer sagt, wie die Lage ist - und mit welchen Worten?" Mohr kam zum bitteren Schluß, daß "mit unzähligen Worten und Invektiven aufeinander eingedroschen wird, ohne daß Argumente zum Zuge kämen, denen alle Kontrahenten Geltung und Plausibilität zubilligen könnten,­ mit deren Hilfe gar ein gewisses Einvernehmen zu erzielen wäre. Statt dessen geht es allein um die Macht des Diskurses, Positionskämpfe und die Bastionen des Zeitgeists."

Ein offener geschichtspolitischer Diskurs, wie er im Zuge des Historikerstreits 1986 drohte und von der Linken erfolgreich abgewürgt wurde, würde notgedrungen zu dem Ergebnis führen, daß die Linke leider das Urheberrecht für die Entfesselung der Vernichtungsidee von Kollektiven besitzt, wie sie im Namen von Marx und Lenin auch in die Welt gesetzt wurde - daß es also einen "kausalen Nexus" zur Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten gibt. Doch Geschichtspolitik ist Machtpolitik, und deshalb kann nicht sein, was nicht sein darf.

So gibt es denn einen mit Steuermillionen finanzierten "Kampf gegen Rechts", aber keinen "Kampf gegen Links". Doch wir brauchen weder das eine noch das andere, sondern endlich den wirklich offenen Diskurs auch zwischen gegensätzlichen Positionen.

Eine Demokratie braucht radikale Kritik wie der Mensch die Luft zum Atmen. Diese radikale Kritik kann auch aus der Mitte kommen, da sich dort jedoch politische und mediale Macht ballt, kommt sie im Zweifel eher von links und von rechts. Eine Demokratie, die ihr Gesicht nicht verlieren und vital bleiben will, braucht die offene Debatte von links bis rechts, von einer radikal progressiven bis zu einer radikal konservativen Position. Eine Gesellschaft, die eine mögliche politische Position, die des Konservativen oder Rechten, diskriminiert und vom Diskurs ausschließt, hört auf, eine demokratische zu sein, sondern schlägt in eine Gesinnungsdiktatur um und droht zu ersticken.

Im Gegensatz zur Weimarer Republik herrscht im Deutschland des Jahres 2008 keine Situation des politischen Bürgerkrieges. Bei Wahlen erhalten die Parteien des etablierten demokratischen Spektrums in der Regel auf Bundesebene an die 90 Prozent der Stimmen, radikale Linke und Rechte um die zehn Prozent. Deutschland steht weder von linksextremer noch von rechtsextremer Seite ein Umsturz bevor. Statt dessen aber erstickt die Debattenkultur an einer bleiernen Konsenssucht, das Publikum wendet sich mit Ekel von einer politischen Klasse ab, die in wichtigen, das Volk vital berührenden Fragen zu keinem offenen Diskurs mehr fähig ist.

Geben wir den Stimmen der Freiheit endlich mehr Raum! Klaus von Dohnanyi mahnte in einer Rede zum Jahrestag der demokratischen deutschen Revolution von 1848 vor den Folgen der die Meinungsfreiheit erdrosselnden Political Correctness:

"Die Bereitschaft, sich 'couragiert' einem großen Strom des Konsenses entgegenzuwerfen, hängt allerdings auch davon ab, wie die demokratische Gesellschaft auf Widerspruch reagiert." Tue sie es mit Ausgrenzung, "zum Beispiel durch die Medien", oder drohe die Gesellschaft gar "Nonkonformisten existentiell zu vernichten", dann werde die "Zivilcourage" in der Gesellschaft erlahmen und der freie Dialog verstummen, so Dohnanyi. "Wo auf abweichende Meinungen oder abweichendes Verhalten mit extremer Intoleranz, mit Ausgrenzung oder gar mit Gewalt geantwortet wird, dort wird auf die Dauer die Freiheit versiegen."

Die Mahnung Dohnanyis, Sohn eines im Dritten Reich hingerichteten Widerstandskämpfers, Sozialdemokrat und ehemaliger Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, ist leider weitgehend ungehört verhallt.

Sorgen wir dafür, daß der Raum für geistige Freiheit in Deutschland wieder weit geöffnet wird, daß der Streit der Meinungen frei ist, daß niemand wegen seiner politischen Anschauungen oder seines weltanschaulichen Bekenntnisses diskriminiert und vom Diskurs ausgeschlossen wird - weder von links noch von rechts!

Gerade an die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit, die sich als Hüterin des Liberalismus versteht, aber im Fall Krause eine unrühmliche Rolle spielte, richtet sich deshalb dieser Appell zur Besinnung. Schließlich hat sie selbst 2002 in einem lichten Moment einen programmatischer Aufmacher ihres Feuilleton-Chefs Jens Jessen publiziert, dessen Appell im eigenen Blatt offenbar folgenlos blieb.

Es stehe nicht gut um die liberale Öffentlichkeit in Deutschland, schrieb Jessen damals, denn: "Der freie Streit von Rede und Gegenrede, den die Theoretiker des Liberalismus im 19. Jahrhundert noch als Motor von Fortschritt und Aufklärung sahen, wird heute von den meisten Medien nur mehr zum Zwecke des Spektakels inszeniert." Und als ob er den Fall Krause vor Augen gehabt hätte, schrieb er weiter: "Wehe dem, der ihnen in die Falle geht! Wer heute eine wirklich kontroverse Position formuliert, wird sogleich Skan­dalgeschrei vernehmen, wenn nicht gefährlichen Tabubruchs verdächtigt werden. Die liberale Öffentlichkeit neigt dazu, andere als liberale Meinungen gar nicht mehr zuzulassen."

Jessen konstatierte, es sei ein verfolgender Liberalismus entstanden, der alles Denken unter Radikalismusverdacht stellt, das nach Alternativen zu den bestehenden Verhältnissen suche: "Linkes Denken gilt immer schon als linksextrem, rechtes Denken als rechtsextrem. Der siegreiche Liberalismus hat die Mentalität eines Staatsschutzes angenommen, der überall Verfassungsfeinde sieht." Als beste Pointe gelte noch immer die Entlarvung eines Gegners "als Faschist oder Stalinist, mag er selbst nicht einmal im Traume ahnen, daß er ein solcher sei": "Rufmord ist zur gängigen Münze in journalistischen Kampagnen geworden."

Ist es billig, als im Rahmen der Kampagne gegen Krause mittelbar betroffene Zeitung Fairneß, offenen Dialog und eine andere politische Kultur zu fordern? Nein, nicht nur im eigenen Interesse der Meinungsfreiheit, sondern jedes politisch Andersdenkenden wird dieser Appell vorgetragen.

Ein Appell, der sich an die Journalisten mit wachem liberalen Gewissen insbesondere bei der Wochenzeitung Die Zeit und an die Intellektuellen der Republik richtet: Stoßen Sie die Fenster auf! Freiheit ist die Essenz der Demokratie!

Helle Empörung über Internet-Portal der "ZEIT"

Auf große Empörung stößt das in der letzten Woche von der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit gestartete Internetportal "Netz gegen Nazis". Bei dieser Plattform, für die der Zeit-Verlag als Kooperationspartner den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF gewinnen konnte, handelt es sich deshalb um ein großes Ärgernis, weil hier auf ein offenkundig linksradikales Autorennetzwerk zurückgegriffen wurde, das bereits über einschlägige Antifa-Zeitschriften aktiv und bekannt ist - bezeichnenderweise auch in Zusammenhängen, die ausgerechnet der Verfassungsschutz als linksextremistisch einordnet. Insbesondere bei den Mitarbeitern und Lesern der JUNGEN FREIHEIT hat helles Entsetzen hervorgerufen, daß diese Zeitung unter die Rubrik "Lieblingszeitungen der (Nazi-)Szene" eingeordnet wird (siehe auch den Bericht auf Seite 6).

Der Chefredakteur der JF, Dieter Stein, forderte in Protestbriefen an den Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und den Intendanten des ZDF, Markus Schächter, eine Rücknahme der die JF verleumdenden Passagen. Bis Redaktionsschluß erreichte uns keine Antwort.

Kontakt: Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur Die Zeit, Buceriusstraße, 20095 Hamburg, Fax: 040 / 32 80-235, E-Post: chefredaktion@zeit.de

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