© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Pankraz,
Kaiser Maximilian und das Büchermachen

Genau fünfhundert Jahre ist es jetzt her, daß der deutsche König Maximilian I. von Habsburg (1459 bis 1519) erstens in Trient zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erhoben wurde, zweitens das "Geheime Jagdbuch" herausbrachte, eine Schrift, an der er in seiner Freizeit lange gearbeitet hatte und die ihm wirklich am Herzen lag. Pankraz vermutet sogar, daß Maximilian sich sehr viel mehr für das "Geheime Jagdbuch" interessierte als für die Kaiserkrönung, denn er war ein großer Freund des Jagens und Hegens - und er war ein leidenschaftlicher Schriftsteller, dem ein neues Buch möglicherweise mehr bedeutete als eine gewonnene Schlacht.

Die Kaiserkrönung absolvierte er eher routinemäßig. Sie war sowieso eine halbe Sache, an sich hätte sie, wie seit Jahrhunderten üblich, in Rom vom Papst vollzogen werden sollen, doch die feindlichen Venezianer verlegten Maximilian die Reise an den Tiber, und die Krönung durch den Papst war dem typischen Renaissancefürsten ohnehin nicht mehr so wichtig wie früheren deutschen Königen. "Erwählter römischer Kaiser" ließ er sich nach der papstlosen Zeremonie nennen, und diese verlief knapp und wenig glanzvoll, obwohl Maximilan höfischen Glanz liebte.

Ansonsten aber und in erster Linie war er Jäger, Naturfreund und Schriftsteller. Viele literarische Werke sind von ihm überliefert, sowohl "Belletristik" als auch "Sachbücher" (um im heutigen Jargon zu sprechen). Es gibt das autobiographische Versepos "Teuerdank", es gibt den historischen Roman "Weißkunig", es gibt - außer dem "Geheimen Jagdbuch" - weitere wissenschaftliche Werke, über Gärtnerei, Falkenzucht, Baukunst, Waffentechnik. Alle diese Werke sind sorgfältigst lektoriert und außerdem prächtig illustriert, von großen Künstlern wie Hans Burgkmair oder Hans Schäufelin, eine wahre Augenweide und eine Fundgrube für Zeit- und Kunsthistoriker.

Natürlich hatte der Kaiser hochbegabte Sekretäre und Mitgestalter, die ihm Arbeit abnahmen und große Teile der Bücher selber schrieben: Melchior Pfinzing war ein solcher Ko-Autor, ein anderer jemand mit dem schönen Namen Max Treitzsauerwein von Ehrentreitz. Aber sowohl Pfinzing wie Treitzsauerwein haben sich dem Stil Maximilians ingeniös anverwandelt, sind treulich seinen Anweisungen gefolgt.

Alles, was der Schriftsteller Maximilian schrieb, war übrigens auf deutsch geschrieben, obwohl damals, im "Humanismus" der Renaissance, die lateinische Mode regierte und faktisch die gesamte übrige Literatur des Reiches, ob Wissenschaft oder Poesie, auf lateinisch erschien. Maximilian hingegen schrieb "Gemeines Deutsch", wie es damals hieß, d.h. einen überwiegend oberdeutschen, vom Geschäftsdeutsch Augsburgs geprägten Dialekt, dem der Kaiser, unterstützt von seinem trefflichen Sekretär Niklas Ziegler, zunächst einmal eine ordentliche, vom Hof privilegierte Schreibweise verpaßte.

Sehr interessant dabei: Das von Maximilian und Ziegler privilegierte "Gemeine Deutsch" klang zwar, wie gesagt, durchaus noch oberdeutsch, zeigte jedoch auch eine entschiedene Neigung zum konkurrierenden Mitteldeutsch; es gab bei Maximilian bereits jene Entwicklung vom "Augsburgischen" zum "Meißenschen", welches dann von Luther als Vorlage für seine Bibelübersetzung genommen und dadurch zur Grundlage des Neuhochdeutschen gemacht wurde. Das "Meißensche" war "in", weil es eben die Sprache des Kaisers und seines Hofes war.

Maximilian als (Mit-)Schöpfer des Neuhochdeutschen zu preisen, wäre dennoch übertrieben. Er war kein Sprachschöpfer, sondern ein ungemein sprachbewußter Schriftsteller und Büchermacher, der im Nebenberuf Kaiser, großer Politiker, Regierungschef war: ein einmaliges Phänomen, das in der Geschichte kaum Parallelen kennt. Pankraz fällt im Grunde nur eine einzige ein, nämlich der tschechische (Ex-)Staatschef Vaclav Havel, gelernter Dramatiker und geborener Poet, der nach der Wende eine Zeitlang Staatspräsident der Tschechoslowakei wurde.

Im übrigen schließen sich die Berufe Schriftsteller und Staatschef wohl gegenseitig aus. Sicherlich, viele der letzteren gerieren sich gern als Superautor, schreiben "rote" oder "grüne" Büchlein, die man schwenken muß, gar dicke Romane wie Leonid Breschnew oder opernhafte Dramen wie Benito Mussolini. Auch geben fast alle Chefs nach Abschluß ihrer Amtszeit Memoiren heraus. Aber kaum eines dieser Fabrikate würde dem scharfen Blick eines Cheflektors standhalten, auch Winston Churchills "Marlborough" nicht und nicht seine "Geschichte des Zweiten Weltkriegs", für die er merkwürdigerweise den Nobelpreis für Literatur erhielt.

In der Antike gab es unter den römischen Imperatoren immerhin einen Marc Aurel ("Selbstbetrachtungen"), und im Mittelalter einen Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen mit seinem Falknerbuch, einem wahren Vorläufer des "Geheimen Jagdbuchs". Unter den Zeitgenossen Maximilians dilettierte in Florenz fleißig Lorenzo ("der Prächtige") von Medici, und später im achtzehnten Jahrhundert hat auch Friedrich der Große von Preußen viel geschrieben. Dessen Flötenkonzerte waren aber besser als sein "Antimachiavell". Diesem merkt man das instrumentelle Nebenbei seines Geschriebenseins noch heute an und ist verstimmt.

Bei Maximilian hingegen spürt man auf faktisch jeder Seite seiner Bücher die primäre Leidenschaft, die ihren Schöpfer bei der Herstellung erfüllte. Da ist weder instrumentelle Nebenabsicht noch bloßer Zeitvertreib, da erscheint in jeder Zeile und noch bei den Einbänden und Illustrationen die volle Liebe zur Sache selbst.

Seufzend sagt man sich: Dieser Mann hätte vielleicht bessere Politik gemacht, wenn er sich weniger fürs Bücherschreiben und mehr fürs Herrschen interessiert hätte. Vielleicht wäre er dann derjenige gewesen, der die Katastrophe des heraufziehenden konfessionellen Bürgerkriegs hätte verhindern oder zumindest abmildern können. Nicht immer sind Bücher das kleinere Übel.

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