© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Frisch gepresst

Dan Diner.Wie läßt sich die Vernichtung eines Teils der europäischen Juden erklären? Man kann dies materialistisch begründen wie Götz Aly, der schwankt zwischen den Motiven "Raubmord" zugunsten des sozialfürsorglichen "Volksstaats" und einer "Lebensraumgewinnung", der die Juden in Polen und der Sowjetunion im Weg standen. Eine ganze Schule von Zeithistorikern, die "Intentionalisten", meint, die Maßnahmen gegen die Juden seien unter Kriegsbedingungen soweit eskaliert, bis es zur Exterminierung keine Alternative mehr gegeben habe. Andere Autoren stellen schlicht auf den Judenhaß Adolf Hitlers ab, oder, wie Daniel J. Goldhagen, auf die genetischen Dispositionen der Deutschen. Reinhard Heydrich ließ Broschüren drucken, in denen er das Treiben seiner Einsatzgruppen im Osten als Strategie im "Weltkampf" begründete: Man trockne den Genpool aus, aus dem das US-Judentum, der gefährlichste Feind des Reiches, sich via ostjüdischer Auswanderungsströme seit 1880 unablässig regeneriere. An Erklärungen eines Menschheitsverbrechens ist also wahrlich kein Mangel. Nur eine, die Dan Diners, des "Hohepriesters der Holocaust-Religion" (Durs Neumann in JF 5/07), scheint so abstrus, daß man sie unter 100 Deutungsangeboten getrost vergessen darf: Die Juden seien einer "Vernichtung um der Vernichtung willen" zum Opfer gefallen. Da Diner aber hofft, diesen Nonsens durch starrsinnige Wiederholung im Diskurs halten zu können, hat er ihn zwischen zwei Buchdeckel gepreßt (Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, broschiert, 128 Seiten, 14,90 Euro), die der volkspädagogische Routinier Norbert Frei pflichtschuldigst als "konzentrierte Summe" von Diners - wohl aufgemerkt nun also! - "Nachdenken" empfiehlt (Literarische Welt vom 5. April 2008).

Orientierungshilfe. Die Forderungen im Büchlein von Norbert Lammert überraschen, weil er beispielsweise für Deutschland mehr als nur das Bekenntnis zum Grundgesetz zur Basis des Zusammenlebens erklärt. Und so nimmt man dankbar die durchaus selten im Politikbetrieb wahrnehmbaren Analysen zur Kenntnis, die neben der Absage an eine multikulturelle Gesellschaft selbst vor der in der Union gemiedenen Teufelsvokabel "Leitkultur" nicht haltmachen. Da ein Bundestagspräsident viele Ansprachen vor unterschiedlichen Gruppen hält, wächst spätestens beim Quellenverzeichnis die Erkenntnis, daß Lammerts konservativ anmutende Bekenntnisse aus eindeutig zielgruppenbezogenen Reden stammen und deshalb wohl eher als unernste Bierzelt-Worthülsen für Claqueure zu verbuchen sind (Flagge zeigen. Vielfalt braucht Orientierung. Johannis Verlag, Lahr 2008, gebunden, 144 Seiten, 9,95 Euro).

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