© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Kein Ruhmesblatt der Sozialdemokratie
Im Mai 1933 stimmten Abgeordnete der politisch verfolgten SPD im Parlament dem außenpolitischen Programm der NSDAP zu
Hans-Jürgen Wünschel

Die historische Literatur zum Thema Drittes Reich füllt Bibliotheken. Ein Ereignis wird aber immer noch mehr verschämt als offen diskutiert: die Zustimmung der im Reichstag versammelten 65 SPD-Abgeordneten zum außenpolitischen Rassenvernichtungsprogramm und der Lebensraumideologie der nationalsozialistischen Regierung. Kein Schulbuch berichtet darüber, die historische Literatur zur Geschichte der SPD verschweigt meist dieses Thema. Was war geschehen?

Die Mehrheit des am 16. Mai 1933 in Saarbrücken tagenden Vorstands der SPD hatte beschlossen, daß die Reichstagsabgeordneten der Reichstagssitzung fernbleiben sollten, auf der eine "Friedensresolution" der Reichsregierung verabschiedet werden sollte. Friedrich Stampfer und Hans Vogel, die vom Vorstand nach Berlin geschickt wurden, fanden aber für diese Haltung keine Mehrheit. Die Fraktion wollte unbedingt an der Sitzung teilnehmen und eine eigene Erklärung abgeben.

In der Sitzung des Ältestenrates des Reichstags drohte Reichsinnenminister Wilhelm Frick den Sozialdemokraten mit Terror, sollten sie im Reichstag die "Friedensresolution" ablehnen. Unter diesem Druck stimmte die Fraktion - von 120 Abgeordneten waren nur noch 65 anwesend - mit 48 Stimmen der Annahme des imperialistischen Programmes der NS-Außenpolitik zu. Vergessen war die mannhafte Haltung eines Otto Wels, der zwei Monate zuvor so tapfer gegen das Ermächtigungsgesetz gekämpft hatte.

Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Wilhelm Hoegner erinnerte sich später an diesen 17. Mai 1933: "Eine sanftere Friedensrede hätte auch Stresemann nicht halten können. Wir Sozialdemokraten erwarteten die Angriffe gegen uns. Als sie ausblieben, sahen sich manche in unseren Reihen überrascht und glücklich an. Jetzt kam die Abstimmung. Unsere Nachbarn zur Rechten blickten voll Erwartung auf uns. Wir erhoben uns und stimmten der Erklärung des deutschen Reichtags zu. Da brach ein Beifallssturm der anderen Abgeordneten los. Selbst unser unversöhnlichster Gegner, Adolf Hitler, schien einen Augenblick bewegt. Er erhob sich und klatschte uns Beifall zu." Reichstagspräsident Hermann Göring verkündete: "Das deutsche Volk ist immer einig, wenn es sein Schicksal gilt!" Er ordnete an, daß die Tatsache der einstimmigen Annahme und der Zustimmung der SPD zum Eroberungsprogramm der NSDAP in der Niederschrift der Sitzung besonders zu markieren sei.

Da fingen die deutschnationalen Abgeordneten das Deutschlandlied zu singen an. Die meisten Sozialdemokraten sangen mit. Hoegner: "Manchen liefen die Tränen über die Wangen. Es war, als hätte uns Sozialdemokraten, die man immer als die verlorenen Söhne des Vaterlandes beschimpfte, einen unsterblichen Augenblick lang die gemeinsame Mutter Deutschland ans Herz gedrückt. Als wir dann ins Freie kamen, strahlte der Himmel heller, die Bäume im Tiergarten schimmerten grüner, und das Herz ging uns auf." Auch wenn viele Genossen bereits ins Ausland geflohen oder in Konzentrationslagern inhaftiert waren, bot noch am 23. Mai der SPD-Parteivorsitzende Otto Wels den Nationalsozialisten verzweifelt eine "loyale Mitarbeit" an.

Wie soll diese Zustimmung der Reichs-SPD zur nationalsozialistischen Regierung erklärt werden? Hatte nicht die SPD am 10. Mai die Verbrennung von Büchern dem NS-System kritisch eingestellter Schriftsteller ablehnend kommentiert? Hatte nicht wenige Tage vorher die Reichsregierung alle Parteihäuser, Geschäftsräume und Vermögen der SPD beschlagnahmt? Seit Wochen waren SPD-Funktionäre und Mitglieder der Gewerkschaften verhaftet worden und in Gefängnisse und Konzentrationslager gesperrt worden. Allerdings hatte schon am 1. Mai 1933 der Führer der sozialdemokratischen Gewerkschaft seine Organisation dem Führer und Reichskanzler zu Füßen gelegt. Es gab einfach keinen Widerstand der Gewerkschaften gegen die NSDAP.

Die Abgeordneten, die der "Feriedens"-Resolution zustimmten, versuchten sich später zu rechtfertigen, sie haben der friedlichen Außenpolitik, nicht aber Hitler zustimmen wollen. Doch dies ist auch kaum glaubhaft, entfernte doch der in Deutschland verbliebene Vorstand der Reichs-SPD noch im Mai 1933 seine jüdischen Mitglieder aus dem Gremium.

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