© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

Rohstoffvorkommen befeuern Sezession
Grönland: Die Regierungschefs Enoksen und Rasmussen legten einen Plan zur Loslösung von Dänemark vor / „Größter Fehler in der dänischen Geschichte“
Martin Schmidt

Während der Regentschaft Margaretes I. (1353–1412) erstreckte sich die Macht des dänischen Reiches über fast ganz Skandinavien. Mit dem Austritt Schwedens aus der Kalmarer Union im Jahre 1523 begann im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Nachbarn um die Vorherrschaft im Ostseeraum der schrittweise Zerfall. Mitte des 17. Jahrhunderts ging das heutige Südschweden verloren, 1814 Norwegen, 1864 die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg und 1944 auch Island. Seither kündet von der einstigen Großmachtrolle nur der Besitz des riesigen Grönland (98 Prozent der Reichsfläche), das nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich wie die Färöer-Inseln weitgehende Autonomie erlangte.

Doch auch die seit 1814 allein zu Dänemark gehörende einstige Kolonie Grönland könnte schon bald den Weg in die Unabhängigkeit wählen. Als Reaktion auf die immer selbstbewußter vorgetragenen Sezessionswünsche stellten der dänische Premier Anders Fogh Rasmussen und sein grönländischer Amtskollege Hans Enoksen am 6. Mai in der Hauptstadt Kap (Nuuk/ Godthåb) einen Plan zur Loslösung vor. Bis Ende 2008 sollen das grönländische Volk und das dänische Parlament über den Entwurf entscheiden. Man rechnet mit einer klaren Zustimmung.

Die Kopenhagener Zentralregierung und die dänischen Steuerzahler würden von einer Trennung insofern profitieren, als – wie vereinbart – die jährlich mehr als drei Milliarden Kronen (über 400 Millionen Euro) an Subventionen nach und nach gestrichen werden sollen. Während die größte Insel der Erde den Dänen einst durch die Ausbeutung ihrer Fischbestände (vor allem den Export von Tran zur Befeuerung von Lampen) große Einnahmen verschaffte, kostet Grönland die Dänen mittlerweile erheblich mehr, als es einbringt.

Zuschüsse aus Kopenhagen machen die Hälfte des grönländischen Haushalts aus. In diesem Zusammenhang spielen die sozialen Probleme der Eskimo-Bevölkerung (Korruption, Armut, hohe Selbstmordrate, Alkoholismus, Kindesmißbrauch) eine große Rolle, die durch ihre Mitte des 20. Jahrhunderts einsetzende „Modernisierung“ und die damit verbundenen Umsiedlungen erschüttert wurde.

Die Eskimos (oder Inuit, wie sie sich selbst nennen) versprechen sich von der Selbständigkeit vor allem die alleinige Verfügbarkeit über die reichen Lagerstätten unter dem grönländischen Eis. Durch die immer weiter steigenden Öl- und sonstigen Rohstoffpreise sowie infolge des durch die Klimaveränderungen schmelzenden Eises lohnt es sich mittlerweile, bislang nicht erschlossene Vorhaben abzubauen.

Deshalb wendet sich die rechte Dänische Volkspartei (DF) als einzige Partei des Königreiches offen gegen den Trennungsplan, den sie als einen „der größten politischen Fehler in der dänischen Geschichte“ bewertet, so DF-Fraktionsmitglied Søren Espersen. Auch etwaige Ausbeutungsansprüche im Bereich des Nordpols würden nach einer Abnabelung Grönlands mit Blick auf die Bestimmungen des internationalen Seerechtsabkommens (JF 3/08) ihre argumentative Grundlage verlieren.

Die Unabhängigkeitsbestrebungen im hohen Norden reihen sich ein in eine seit dem Zerfall des Sowjetimperiums eingeleitete Umgestaltung Nachkriegseuropas. Einerseits gibt es die Brüsseler Versuche, das überdehnte EU-Territorium unter zentralistischer Kontrolle zu halten, andererseits erodieren die klassischen Nationalstaaten.

Beides zusammen eröffnet ein Machtvakuum, das kleinere Räume dazu nutzen, sich auf ethno-kultureller Grundlage selbständig zu machen. Montenegro, das Kosovo und demnächst wohl auch Grönland sind nur der Anfang. Flandern, Schottland, Katalonien, das Baskenland und die Färöer-Inseln stehen längst in den Startlöchern, andere dürften folgen.

 

Grönland

Hauptstadt Kap (Nuuk)

Fläche 2.166.086 km2

Einwohner 58.100 (0,027 pro km2)

Währung Dänische Krone

Sprachen Grönländisch,Dänisch

Staatsoberhaupt Königin Margrethe II. von Dänemark

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