© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

Psychogramm eines wehrlosen Christentums
Susanne Geskes Buch über den Mord an ihrem Mann im türkischen Malatya läßt die Konfliktlinien allenfalls erahnen
Fabian Schmidt-Ahmad

Vor einem Jahr rauschte eine Nachricht durch den Blätterwald. Nicht in Leitartikeln, sondern eher unscheinbar, wie eine lästige Pflicht, wurde von einem Verbrechen berichtet, das so überhaupt nicht in das politische Einerlei passen wollte. Am 18. April wurden in Malatya in der Türkei der Deutsche Tilmann Geske und zwei einheimische Mitarbeiter gefoltert und ermordet – lediglich weil sie Christen waren. Ins Bewußtsein gerufen wird nun dieses schnell vergessene Ereignis durch ein Buch von Susanne Geske, der Ehefrau des Opfers.

Geske hatte damals nach der Bluttat vor den Augen der verwunderten türkischen Öffentlichkeit erklärt, daß sie den Mördern bedingungslos und von ganzem Herzen Vergebung anbiete. „Auch wenn es unglaublich klingt, aber ich hatte niemals auch nur den kleinsten Gedanken an Rache und Haß“, schreibt sie nun im Vorwort der von Jonathan Carswell und Joanna Wright zusammengestellten Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen mit dem programmatischem Titel „Ich will keine Rache“.

Zusammen mit ihrem Mann und zwei Kindern war Geske vor rund zehn Jahren in die Türkei gezogen, ein weiteres Kind wurde hier geboren: „Wir sind in dieses Land gekommen, um ein normales Leben zu führen, genauso wie Türken als Muslime nach Deutschland gehen. Wir wollen in der Türkei als Christen leben“, sagte Geske vor einem Jahr der Presse. Das Wort „Missionierung“ fiel nicht, ist eine solche im laizistischen Staat doch offiziell verboten, zumindest für Christen. Tilmann Geske arbeitete als Englischlehrer und Übersetzer.

Seine Frau lebt auch heute noch in Malatya. Tilmann sei „als Märtyrer im Namen Jesu Christi gestorben“, und sie wolle das ideelle Werk ihres Mannes fortsetzen. „Dies ist ein Neuanfang für Malatya und für die Türkei.“ Darin dürfte wohl eine Schwäche des Buches mitbegründet sein. Wer erwartet, daß man hier einen Kulturkonflikt in deutlichen Worten beschreibt, wird enttäuscht. Schikanen, mit denen der türkische Staat Ausländer belegt, werden zu „zahlreichen Einschränkungen und Bestimmungen“ gemildert. Und daß in Istanbul gerade einmal hundert Demonstranten das Attentat verurteilten, bleibt unerwähnt.

Aber nicht nur das Leben in einem fremden Land, auch Geskes Sicht auf die Menschen selbst läßt die Konfliktlinien allenfalls erahnen. Als die evangelischen Geskes auf ihrer Hochzeitsreise zum ersten Mal in Istanbul türkischen Boden betraten, festigt sich ihr Entschluß zur Einreise: „Wir hatten eine Bootsfahrt zusammen mit einer ganz liebenswerten Familie gemacht. Die Mutter hatte einen Tschador getragen – aber wie die Eltern mit ihren Kindern umgegangen waren und wie sie miteinander gesprochen hatten, das war wirklich liebevoll gewesen. Tilmann hatte zu mir gesagt: ‘Weißt du, für solche Menschen möchte ich da sein.’“

„Liebenswert“, „liebevoll“ – beschreibt Geske die Menschen des Landes, so sind stets diese Eigenschaften zu hören. Nur fragt sich der Leser angesichts dieser idealisierten Darstellung, woher dann die fünf Männer kamen, die Tilmann Geske auf einen Stuhl fesselten und ihn schlugen, insgesamt fünfzehnmal mit dem Messer auf ihn einstachen und dann dem Sterbenden die Kehle durchschnitten. Weitere Details der Folter wollte Susanne Geske nicht veröffentlichen. So stellt das Buch eher ein Psychogramm heutigen Christentums dar.

Der Mord traf die deutsche Familie wohl wirklich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ausgerechnet in Malatya hatte sie sich niedergelassen und will nicht gewußt haben, daß aus diesem Ort beispielsweise der Attentäter von Papst Johannes Paul II, Mehmet Ali Agca, stammte. Man mag diese Naivität kaum glauben, aber die Geskes wähnten sich in Sicherheit. „Wir konnten uns nur schwer vorstellen, daß Menschen heute abgeschlachtet oder verbrannt werden wie zu Neros Zeiten. Wir (...) konnten uns einfach nicht vorstellen, daß uns so etwas passieren könnte.“ Nun ist es passiert und wird wieder passieren – in Malatya und anderswo.

Jonathan Carswell, Joanna Wright: Susanne Geske – Ich will keine Rache. Das Drama von Malatya. Brunnen Verlag, Gießen 2008, gebunden, 192 Seiten, 12,95 Euro

Foto: Beisetzung von Tilmann Geske auf dem Friedhof in Malatya: Die Familie wähnte sich inmitten von „liebenswerten“, „liebevollen“ Menschen

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