© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

Die Wahrheit in der Flaschenpost
Aphorismen des kolumbianischen Meisterdenkers und bekennenden Reaktionärs Nicolás Gómez Dávila als Taschenbuch
Georg Alois Oblinger

Schreiben ist oft unvermeidbar, veröffentlichen fast stets schamlos.“ Der Mann, der diesen Satz geschrieben hat, hat nie ein Massenpublikum angestrebt. Er schrieb lediglich für seinen Freundeskreis, dem er bei regelmäßigen Treffen am Sonntagnachmittag seine geschliffenen Sentenzen vortrug. Von diesen Treffen abgesehen, lebte Nicolás Gómez Dávila (1913–1994) völlig zurückgezogen in Bogotá (Kolumbien) und verbrachte die meiste Zeit in seiner umfangreichen Bibliothek mit mehr als 30.000 Bänden. Er beschäftigte sich vorwiegend mit Lesen und dem Niederschreiben von Notizen, die er zu messerscharfen, nicht selten auch angriffslustigen Aussprüchen formte.

Mehrere tausend Aphorismen hat er geschrieben und in drei Werken zusammengefaßt, die er unter dem schlichten Titel „Scholien“ (Randbemerkungen) in Kleinstauflage für seine Freunde drucken ließ. Seine Maxime lautete: „Keine Leser zu haben, wäre eine beklagenswerte Angelegenheit, wenn der Ruhm die Qualität des Werkes verbessern würde.“ Und ferner: „Für die Nachwelt schreiben heißt nicht, sich danach zu sehnen, daß man uns morgen liest. Es heißt, nach einer bestimmten Qualität des Schreibens zu streben. Selbst wenn uns niemand läse.“

Es überrascht nicht nur, daß Gómez Dávilas Werke bereits wenige Jahre nach seinem Tod in zahlreichen Ländern verbreitet sind – in Deutschland hauptsächlich gefördert durch Martin Mosebach, Botho Strauß, Gerd-Klaus Kaltenbrunner und Erik von Kuehnelt-Leddihn. Es scheint geradezu ein Treppenwitz der Geschichte zu sein, wenn der Reclam-Verlag jetzt einen Dávila „für die Manteltasche“ als Taschenbuch vorlegt. Hat der elitäre Denker, dessen Werk zuerst im österreichischen Nischenverlag Karolinger ins Deutsche übersetzt wurde, nun womöglich die Mitte der Gesellschaft erreicht und ist gar massentauglich geworden? Mitnichten! Wer die Moderne und die Demokratie bekämpft und sich mit Stolz als Reaktionär bezeichnet, dessen Niederschriften gleichen eher einer Flaschenpost, die nur unter äußerst günstigen Umständen einen geeigneten Adressaten erreicht.

Michael Klonovsky, der Herausgeber des Taschenbuchs, liefert selbst eine Erklärung für die Faszination Gómez Dávilas, wenn er anstelle eines Nachwortes „ein Selbstgespräch eines Dávila-Freundes mit einem Dávila-Gegner“ verfaßt. Die beiden Seelen in seiner Brust bezeugen, wie sehr der kolumbianische Philosoph im Gegensatz zu allgemein akzeptierten Überzeugungen steht und wie sehr er doch eine Wahrheit ausspricht, die jedem wachen Denker und Beobachter der heutigen Wirklichkeit evident sein müßte. Diesen Widerspruch hat Gómez Dávila selbst bezüglich seiner eigenen Lesegewohnheiten einmal so formuliert: „Die Schriftsteller, die mich am meisten verführen, sind die, die mich am meisten irritieren würden, wenn sie nicht so intelligent wären.“

Doch dieser Kolumbianer ist nicht nur ein scharfer Analytiker der modernen Gesellschaft; er ist zudem ein Ästhet. Er fühlt sich abgestoßen von der Vulgarität modernen Lebens, das er „eine Mischung aus Bordell, Verlies und Zirkus“ nennt. Was ihn trägt, ist sein Glaube an die Schönheit, die er in der klassischen Literatur und in den Glaubenswahrheiten der katholischen Kirche erkennen kann. So schrieb er: „Die Ästhetik verkommt in der Soziologie und erblüht in der Religion.“ Aber auch: „Skeptiker oder Katholik: der Rest vergeht mit der Zeit.“

Michael Klonovsky kommt das Verdienst zu, einen Querschnitt der Aussprüche Gómez Dávilas thematisch geordnet zu haben. Die Aphorismen handeln über Existenz, Künstlertum, Literatur, Moderne, Zivilisation, Geschichte, Technokratie, vom Geist, Lebensalter, Philosophie, Christentum, Allzumenschliches, Politik, dem Demokraten, der Linken und dem Reaktionär.

Erfreulicherweise wird das Werk Nicolás Gómez Dávilas durch die Taschenbuchausgabe einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Ambivalent aber wird die Rezeption seiner Gedanken immer bleiben. Denn: „Es gibt Leser, die von den Büchern angenommen werden, und Leser, die von ihnen zurückgewiesen werden.“

Nicolás Gómez Dávila: Es genügt, daß die Schönheit unseren Überdruß streift … Aphorismen, ausgewählt und herausgegeben von Michael Klonovsky. Reclam Verlag, Stuttgart 2007, kartoniert, 168 Seiten, 8,90 Euro

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