© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/08 30. Mai 2008

Patriotismus
Wenn die bunten Fahnen wehen
Dieter Stein

Es ist wieder soweit. Plötzlich stoppen sie neben uns an der Ampel, die Autos mit den angeklemmten Fahnen. In einer Woche, am Samstag, den 7. Juni, wird um 18 Uhr das Spiel Schweiz gegen Tschechien angepfiffen, und die Fußball-Europameisterschaft beginnt. Es gibt manche, denen Fußball völlig gleichgültig ist. Ich gehöre dazu. Ich habe überhaupt keine Ahnung, welche Mannschaften welche Rolle in der Bundesliga spielen. Als ich 1979 nach einem Umzug unserer Familie von Bayern ins Badische an der neuen Schule den Mitschülern vorgestellt wurde, begriff ich zunächst nicht, warum einige Schüler jubelten, als sie hörten, aus welchem Bundesland ich kam. Das sagt alles.

Doch Europa- oder Weltmeisterschaften lassen auch abgebrühte Fußballmuffel nicht kalt. Ein harter Kern von Fußballabstinenten mag sich abwenden und über die Profanisierung des Patriotismus im Geiste einer durchkommerzialisierten Sportart die Nase rümpfen - die erdrückende Mehrheit des Volkes reißt Standesgrenzen, politische Lager trennende Schranken ein und fiebert mit der eigenen Nationalmannschaft mit.

Kein Halten kannte der Fußball-Patriotismus bei der WM vor zwei Jahren, die in Deutschland ausgetragen wurde. Anfangs zögerlich, im Laufe des Turniers immer begeisterter erfaßte die schwarzrotgoldene Fröhlichkeit das ganze Land. Und mit ihr die ausländischen Besucher und Bürger mit "Migrationshintergrund". Apropos Ausländer: Sie können oft nur anläßlich von Fußball-Länderspielen erleben, daß die Ureinwohner ihrem eigenen Land nicht nur mit kühler Distanz begegnen, sondern auch für kurze Momente stolz sein können, Deutsche zu sein.

So läuft die schwarzrotgoldene Werbung bei dieser Meisterschaft weniger zaghaft an als vor zwei Jahren. Auch diese Zeitung ist davon nicht frei und bietet dem "wahren Fan" ein achtwöchiges "Deutschland-Abo" zum Sonderpreis an, Deutschlandfahne fürs Auto inklusive (siehe Seite 20). Patriotismus als Werbegag?

Ohne Freude am Gemeinschaftssinn geht es nicht. Dafür, daß es Deutschland immer noch unverschämt gutgeht, wird - zumal in der veröffentlichten Meinung - zuviel Trübsal geblasen. Eine immer wiederkehrende Frage: Wann erleben zugewanderte Bürger in diesem Land, daß sie einer Gemeinschaft angehören, die sich kollektiv über ihr Zusammensein freuen kann? Nationalfeiertag am 3. Oktober? In Berlin Bratwurstessen am Brandenburger Tor ("Wiedervereinigung - war da was?") und Familienausflüge ins Grüne. An den Schulen? "Kampf gegen Rechts"-Projekte mit der Quintessenz: Nationalbewußtsein ist "irgendwo problematisch" und "Multikulti dufte". Wenn junge Türken aber "Multikulti" weltfremd finden, dann wenden sie sich mangels attraktiver deutscher Identität lieber ihrer eigenen Tradition zu.

Es kommt ein schwarzrotgoldener Sommer. Drücken wir unseren Jungs die Daumen, daß er nicht zu früh wieder vorbei ist! Es wäre ja schade um die vielen schönen Fahnen an den Autos ...

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen