© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/08 30. Mai 2008

Realitätsfremde Erklärungen
Südafrika: Die Ursachen der "fremdenfeindlichen" Unruhen sind vielfältig / Johannesburg längst die "Welthauptstadt der Kriminalität"
Martin Schmidt

Wer Medienberichte über die jüngsten Ausschreitungen in den südafrikanischen Townships studiert, findet die immer gleichen Erklärungsmuster. Da ist von Fremdenfeindlichkeit die Rede, die die Zuwanderer aus benachbarten Staaten wie Simbabwe, Mosambik oder Malawi treffe. Marodierende Banden hätten systematisch ganze Viertel durchsucht, um Ausländer zu töten, zu verjagen, zu rauben, zu vergewaltigen und die Behausungen der Opfer anzuzünden. Die Zeitung The Sowetan berichtete von einem wütenden Mob, der das Haus eines Bauunternehmers aus dem Johannesburger Vorort Actonville nur deshalb in Brand gesetzt habe, weil dieser verdächtigt wurde, ausländische Arbeiter zu beschäftigen. Der Firmeninhaber sei in den Flammen ums Leben gekommen, die Täter stammten aus nahe gelegenen Armenvierteln.

Werner Böhler von der Johannesburger Vertretung der Konrad-Adenauer-Stiftung hob als Ursache das extreme Wohlstandsgefälle Südafrikas hervor und gestand zu, daß es eine Unkultur der Kriminalität gebe, die allzu lange toleriert worden sei, sowie einen sich destabilisierend auswirkenden Migrationsdruck. Berichte über Johannesburg als "Welthauptstadt der Kriminalität" oder über die absehbare Unfähigkeit Südafrikas, die öffentliche Sicherheit für die Fußball-WM 2010 zu gewährleisten, verstärken den Eindruck, daß irgendwas in der einst bewunderten "Regenbogennation" des Anti-Apartheids-Helden Nelson Mandela nicht stimmt.

Das "neue Südafrika" entpuppt sich als das, was es seit der international bejubelten Machtübernahme des African National Congress (ANC) schon immer war: ein realitätsfremdes multiethnisches Konstrukt unter dem Schutzschirm zahlloser Journalisten rund um den Globus. Die jugendlichen Schlägerbanden in den Townships setzen sich nicht nur (wie der Xhosa-dominierte ANC behauptet) aus Angehörigen des Zulu-Stammes zusammen, der als besonders willensstark und kriegerisch gilt. Sie sind auch keine von randständigen Motiven geleiteten kriminellen Einzeltäter, sondern repräsentieren als leicht mobilisierbare Speerspitze eine weitverbreitete Haltung der mit Alltagserfahrungen begründeten Ablehnung von Immigranten, die anderen Ethnien angehören und deren millionenfache Zuwanderung einer Landnahme gleicht.

Die Unruhen sind auch nicht neu, lediglich ihr Ausmaß hat angesichts immer knapperer Ressourcen (Nahrung, Wasser, Wohnungen und Strom) sowie ausbleibender staatlicher Hilfen eine andere Dimension erreicht. Westliche Medien verschweigen gern, daß auch in Südafrika Zuwanderer bei kriminellen Taten häufig überrepräsentiert sind - ein Großteil der Drogenbosse stammt zum Beispiel aus Nigeria -, während sich andererseits bestimmte Gruppen wie etwa Migranten aus Malawi und Simbabwe wegen ihres Fleißes großer Beliebtheit bei den einheimischen Arbeitgebern erfreuen. Unter den Zuwanderern befinden sich schätzungsweise drei Millionen Schona und Matabele aus Simbabwe, die durch eine äußerst liberale Einwanderungspolitik angelockt wurden und meist in Bergwerken, auf Feldern und in Privathaushalten beschäftigt sind.

All das löst großes Unbehagen unter der alteingesessenen Bevölkerung aus. Reflexe des Territorialverhaltens werden aktiv und haben nicht zuletzt deshalb schlimme Folgen, weil die Staatsmacht zu wirksamen Gegenmaßnahmen außerstande ist - nicht kurzfristig und erst recht nicht langfristig im Sinne eines grundlegenden Politikwechsels. So ist die südafrikanische Polizei hoffnungslos überfordert, weil Rassenquoten und "affirmative action" ihren Personalbestand derart verändert haben, daß Ausbildungsstand und Ausrüstung nicht mehr den heutigen Erfordernissen genügen. In der Theorie stehen den Sicherheitskräften die eigens für innere Unruhen konzipierten "Nyala"-Fahrzeuge zur Verfügung, die in der Praxis aber nur höchst selten zum Einsatz kommen, weil die meisten dieser in der Apartheid-Ära besorgten Wagen oft kaputt sind. Der geforderte Einsatz des Militärs dürfte aus den gleichen Gründen schwierig werden.

Dementsprechend düster sehen die Perspektiven aus: Solche Pogrome werden tendenziell häufiger, immer umfangreicher, unkontrollierbarer und immer blutiger. Unter den verbliebenen Weißen ist ein neuerlicher Abwanderungsschub nach Neuseeland, Kanada oder in die USA zu erwarten. Und die schwarzen Stämme Südafrikas dürften vermehrt die Frage aufwerfen, was seitens der Staatspartei ANC im Zusammenhang mit der größten Masseneinwanderung in der jüngeren Geschichte des Landes falsch gemacht wurde und wer somit die eigentlichen Schuldigen sind.

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