© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/08 06. Juni 2008

Energiemix bleibt unverzichtbar
Umweltpolitik: Deutschland kann nicht gleichzeitig aus Kernkraft und Kohle aussteigen
Hinrich Rohbohm

Befindet sich Deutschland mit seiner Energiepolitik in einer Sackgasse? Der von der rot-grünen Bundesregierung einst eingeschlagene und von der Großen Koalition beibehaltene Weg des Ausstiegs aus der Kernenergie wirft zunehmend Fragen auf. Bis 2020 soll das letzte AKW vom Netz gehen. Bei seiner Eröffnungsrede zur Jahrestagung Kerntechnik 2008 in Hamburg betonte der Präsident des Deutschen Atomforums, Walter Hohlefelder, daß der deutsche Sonderweg in der Frage der Kernenergienutzung schnurstracks auf das energiepolitische Abstellgleis führe.

"Das Ergebnis ist absehbar: Die ehrgeizigen deutschen CO2-Reduktionsziele werden verfehlt, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes gefährdet, die Abhängigkeit von Energieimporten aus dem Ausland steigt," so Hohlefelder. Angesichts der gewachsenen Herausforderungen im Bereich der Energiepolitik habe Deutschland keine Alternative zur Neubewertung der Kernenergie. Dabei könne die Antwort nur eine Laufzeitverlängerung der bestehenden Kernkraftwerke sein. Dies sei notwendig, um eine drohende "Stromlücke" abzuwenden (JF 18/08). Hohlefelder kritisierte zudem das bestehende Forschungsverbot bei der Reaktorneuentwicklung: "Für eine Technologie- und Industrienation wie Deutschland ist eine solche Politik der Denkverbote inakzeptabel."

Schon seit längerem prophezeien deutsche Stromkonzerne wie Eon und RWE Engpässe in der Stromversorgung sowie rapide steigende Energiekosten. Zugleich erlebt die Atomenergie im europäischen Ausland eine regelrechte Renaissance. Großbritannien, Finnland und Italien setzen zunehmend auf Kernkraft, während Deutschland künftig Strom aus weniger sicheren AKWs zu hohen Kosten importieren muß. Hinzu kommt die Unsicherheit bei erneuerbaren Energien und eine weltweit steigende Nachfrage von Öl und Gas.

Da eine Atomrenaissance in Deutschland politisch schwer durchsetzbar wäre, könnten moderne Kohlekraftwerke eine Alternative sein. Jedoch gibt es auch hier Vorbehalte von Umweltschützern, da der - trotz besserer Technik - weiter prinzipbedingte CO2-Ausstoß das Klima zu stark belaste. "Wer glaubt, er kann gleichzeitig aus der Kohle- und der Kernkraft aussteigen, macht Deutschland in einem nicht verantwortbaren Maße von ausländischen Energielieferanten abhängig, schadet der Volkswirtschaft und tut damit diesem Land absolut nichts Gutes", warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich auf der Konferenz des Bundesverbandes der Deutschen Industrie zum Thema "Moderne Netzindustrien - Infrastrukturen für das 21. Jahrhundert" in Berlin.

Doch ihre Aussagen stehen im Widerspruch zu den Klimazielen, die sich die Bundesregierung selbst gesetzt hat. Das Kyoto-Abkommen sieht eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 5,2 Prozent bis zum Jahr 2012 vor. Die EU hat sich eine Verringerung von acht Prozent auf die Fahne geschrieben. Deutschland möchte die Treibhausgase sogar um 21 Prozent herunterfahren. Bis 2020 sollen es in Deutschland schließlich 40 Prozent weniger sein, während Brüssel für den gleichen Zeitraum lediglich 20 Prozent vorschreibt.

Da erneuerbare Energieformen den Bedarf in Deutschland auf absehbare Zeit nicht decken können, wären Gaskraftwerke eine mögliche Alternative. "Bei ihnen wird im Vergleich zu Kohlekraftwerken nur etwa die Hälfte an CO2 freigesetzt", erklärt Daniel Genz, Referent für Energiepolitik und Grundsatzfragen bei Vattenfall Europe.

Doch das Gas muß für viel Geld aus Rußland bezogen werden. Und die Preise steigen weiter. "Die Russen bauen Kohle- und Kernkraftwerke zur Deckung des eigenen Energiebedarfs und exportieren ihr Gas", erläuterte Genz. Die deutsche Energiepolitik laufe genau umgekehrt. Leidtragende seien die Verbraucher, die für die höheren Kosten aufkommen müssen.

Eine Entwicklung, die Klaus Mülder vom Heizkraftwerk Berlin-Mitte Sorge bereitet. "An einem trüben und windstillen Tag können Solarenergie und Windkraft keinen Strom produzieren", gibt er zu bedenken. Ein Energiemix sei daher unverzichtbar. Ansonsten seien Versorgungsengpässe absehbar. Die Energiepolitik bleibt weiter in der Diskussion.

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