© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/08 06. Juni 2008

Klamauk als Geniestreich
Rossini macht's möglich: "Le Comty Ory" an der Staatsoper Stuttgart
Axel Michael Sallowsky

Nach einem verhunzten "Fliegenden Holländer" in der Regie von Calixto Bieito (JF 7/08) gibt es jetzt an der Stuttgarter Staatsoper so etwas wie eine "Wiedergutmachung" am Publikum. Rossini macht's möglich. Selbst wenn man diesem Genius einen simplen "Dick und Doof"-Slapstick zum Vertonen vorgelegt hätte - heraus gekommen wäre garantiert ein musikalisches Meisterwerk. Wie eben dieser "Comte Ory", der kürzlich Premiere in Stuttgart hatte und geradezu enthusiastisch vom Publikum aufgenommen wurde.

Das Libretto dieser am 20. August 1828 in Paris uraufgeführten opéra comique stammt aus den spitzen Federn von Eugène Scribe und Charles-Gaspard Delestre-Poirson. Doch bei aller geistvollen, nach Tiefsinn suchenden oder provozierenden Interpretationslust: Die Handlung dieses Werkes grenzt trotz einiger amüsanter Details bisweilen an dramaturgischen Schwachsinn.

Alles, was da an Originalität partiell unter den Gattungs-Begriffen wie opéra comique, opéra buffa, vaudeville, Boulevard- und Possenspiel und dergleichen mehr einzuordnen und anzutreffen ist, vermag über die Dürftigkeit des Librettos nicht hinwegzutäuschen. Andererseits war es jedoch ebendieser banal-frivole Masken-, Liebes- und Verwirrspiel-Zauber, an dem sich das Theaterpublikum des 19. Jahrhunderts so ergötzen konnte, so daß selbst ein Rossini Lust verspürte, ein solch albernes Sujet in Musik zu verwandeln.

Die recht abstruse Handlung in Kurzform: Graf Ory, ein Bruder Leichtfuß im Geiste und im Gelüste eines durch das Musiktheater (wie auch durchs europäische Schauspiel) streunenden Verführers á la Don Juan, nutzt trickreich und keck die Abwesenheit einiger nach Heldentaten und Sarazenenblut lechzender Kreuzfahrer, um sich in die Betten der "ewige Keuschheit" geschworenen Gattinnen der Ritter zu schleichen. In der Maskerade eines weisen Gurus gelingt ihm dies bei dieser und bei jener verwaisten Dame auch.

Besonders hat es dieser schlitzohrige Draufgänger jedoch auf die schöne, stolze und "unter Depressionen" leidende Comtesse Adèle von Formoutiers abgesehen (das Fernsein des Gatten, die Nähe des Verführers und nicht erlebte Liebeslust dürften wohl die Ursache dafür sein) Als Nonne verkleidet, unterstützt und begleitet von einer wilden Schar seiner Liebes-, Rauf- und Saufkumpane, findet er schließlich den Weg ins Schloß, nicht aber in den Schoß der von ihm so heiß begehrten blaublütigen Schönheit.

Doch wie gesagt: Gioachino Rossini macht's möglich. Er gab mit seiner vorletzten Oper die geniale musikalische Steilvorlage (die Musik zu diesem "Comte Ory" gehört zum Besten, was der Maestro aus Bologna je schuf), und mit dem 42jährigen Igor Bauersima war in Stuttgart ein ideenreicher Regisseur zur Stelle, der seine zauberhaften szenischen und choreographischen Einfälle nicht allein aus dem Fundus seiner geradezu überbordenden Phantasie, sondern (man ist erstaunt und erfreut) tatsächlich auch aus dieser genialen Partitur holte. Dabei stand dem Regisseur Igor Bauersima in Personalunion auch der Bühnenbildner Igor Bauersima mit seinen hinreißenden Szenen-Licht-Spiegel- und Schattenspielen als kongenialer Partner zur Seite.

Heraus kam dabei ein köstlicher musikalischer Lustspielabend, an dem das Schmunzeln dominierte und endlich einmal ein Ärgernis wie der Bieito-"Holländer" weder vorprogrammiert noch zu befürchten war.

Als weitere Partner dienten der Regie ein homogenes Solisten-Septett auf höchstem sängerischen Niveau sowie ein Chor (Leitung: Johannes Knecht) der Extraklasse. Mit Angelo Scardina in der Titelrolle stand in Stuttgart zudem ein Sänger-Komödiant mit Zukunfts-Perspektive(n) auf der Bühne, der mit seiner noch sehr zarten, lyrischen Tenorstimme fast ein Dutzend hohe Cs mühelos über den Orchestergraben brachte und sich bravourös im raffinierten Koloratur-Dickicht seines anspruchsvollen Parts zu behaupten wußte. Die Bulgarin Ina Kancheva (in Stuttgart mittlerweile Publikumsliebling) bestach wieder einmal ebenso durch Schön-Gesang (und virtuose Koloratur-Technik) wie durch Schönheit in Gestalt und Spiel.

Im beschwingten Dirigat von Enrique Mazzola (der das Staatsorchester von Kopf bis Fuß auf Rossini eingestimmt hatte) waren Tina Hörbold als Page Isolier, Adam Kim als Raimbaud, Matias Tosi als Orys Erzieher, Ezgi Kutlu als Dame Ragonde sowie Yuko Kakuta als junge Bäuerin die weiteren Garanten für einen höchst vergnüglichen Opernabend in Stuttgart. Riesenapplaus und stürmische Bravos.

Die nächsten Aufführung in der Staatsoper Stuttgart, Oberer Schloßgarten 6, finden statt am 15., 19. 23. Juni sowie am 4., 18. und 23. Juli. Telefon: 07 11 / 20 32-0

Foto: Gräfin Adèle (Ina Kancheva): Virtuose Koloratur-Technik

Foto: Comte Ory (Angelo Scardina): Die Handlung grenzt bisweilen an dramaturgischen Schwachsinn

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