© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

Eine Ikone mit Massenmordphantasien
Vor achtzig Jahren wurde Ernesto Che Guevara geboren / Die Mystifizierung der politischen Linken blendet Schattenseiten aus
Werner Olles

Er war das "Pin-up" der Achtundsechziger und avancierte im weiteren Verlauf der Kulturrevolution zur Ikone der Bewegung. Ein Jahr zuvor war Ernesto Guevara de la Serna, genannt Che, am 9. Oktober 1967, nachdem er bei einem Gefecht mit bolivianischen Regierungstruppen verwundet und anschließend inhaftiert wurde, im Schulhaus des Dorfes La Higuera von einem betrunkenen Feldwebel erschossen worden. Dem Leichnam wurden beide Hände entfernt, um auch später seine Identität beweisen zu können. Auf dem Flugplatz von Vallegrande begrub man ihn heimlich unter der alten Landebahn.

Erst dreißig Jahre danach gelang es einem kubanischen Team, die sterblichen Überreste des wohl berühmtesten Revolutionärs der Welt zu bergen, nachdem ein ehemaliger Armee-Offizier den Begräbnisort verraten hatte. Nach der Exhumierung und der Überführung nach Kuba bekam Che ein offizielles Staatsbegräbnis in einem eigens dafür geschaffenen Mausoleum in Santa Clara, jener Stadt, deren Fall Ende 1958 nach einem von ihm geführten Angriff den kubanischen Diktator Batista zur Flucht zwang und damit den endgültigen Triumph der Revolution besiegelte.

Che Guevaras phantastische Weltbrandstiftungsszenarien

Ein halbes Jahrhundert nach dem Sieg der kubanischen Revolution und achtzig Jahre nach Che Guevaras Geburt am 14. Juni 1928 in Rosario, Argentinien, findet sich das Konterfei des Guerillaführers nicht nur auf dem Bikini des millionenschweren brasilianischen Top-Model Gisele Bündchen, den T-Shirts von Johnny Depp und Robbie Williams. Das berühmte Poster mit traurigem Blick, Baskenmütze und rotem Stern, das der Fotograf Alberto Korda am 5. März 1960 schoß und der linksradikale italienische Verleger Giacomo Feltrinelli nach Ches Tod weltweit vermarktete, ziert mittlerweile so ziemlich jeden Kongreß von Attac, Jusos oder PDS-Jugendverbänden. In Lateinamerika gilt Che bis heute als Volksheld und revolutionäres Idol, vor allem aber als Märtyrer nationaler und internationaler Befreiungsbewegungen. Revolutionäres Pathos, Mythenbildung und Heldenverehrung verschmelzen in diesem Bild zu einer Art Pop-Ikone, deren Verklärung der Person Che Guevaras mit ihrer ganzen Widersprüchlichkeit jedoch in keiner Weise gerecht wird.

Zu Guevaras großen Verdiensten gehört gewiß, daß er schon früh klar erkannte, wer der Hauptfeind Lateinamerikas ist. Sein Kampf gegen den Imperialismus der Vereinigten Staaten war in Anbetracht der leidvollen Geschichte der von US-Konzernen ausgebeuteten und von im Solde der USA stehenden Diktatoren unterdrückten Völker Lateinamerikas durchaus berechtigt. Seine Idealisierung als "Jesus Christus mit der Knarre" (Wolf Biermann) oder gar als "Der Vollkommenste Mensch seiner Zeit" (Jean-Paul Sartre) und seine Stilisierung zum unangepaßten, gutaussehenden Revolutionär mit Zigarre im Mund, der er neben vielem anderen auch war, ist jedoch mehr als geschmäcklerisch und entspricht keineswegs der ganzen Wahrheit.

"Ich bin wohlauf und dürste nach Blut", schrieb Che in einem Brief an seine Frau Hilda in Argentinien, kurz nachdem er 1957 auf Kuba gelandet war. Und in seiner "Botschaft an die Völker der Welt" heißt es unmißverständlich: "Wo immer der Tod uns trifft, er sei willkommen, wenn nur unser Kriegsruf ein aufnahmebereites Ohr getroffen hat und eine andere Hand sich ausstreckt, um unsere Waffen zu ergreifen und andere Menschen sich daranmachen, die Trauermelodie zu intonieren mit Maschinengewehrgeratter und neuen Kriegs- und Siegesrufen." Das war nun in der Tat auch für manche Linke etwas starker Tobak.

Letzte Gewißheit darüber, daß Che nicht nur sein eigenes Leben nicht geschont hat, sondern durchaus bereit war, bedenkenlos andere Menschen zu opfern, gibt seine Haltung während der Kubakrise. In einem Interview mit der britischen KP-Zeitung Daily Worker sagte er, falls er anstelle der Sowjetunion die Verfügungsgewalt über die Atomraketen gehabt hätte, wären diese auch abgefeuert worden: "Es ist das schaudererregende Beispiel eines Volkes, das bereit ist, sich atomar abschlachten zu lassen, damit seine Asche als Fundament für neue Gesellschaften dient. Und wenn ungefragt ein Pakt zum Abzug der Atomraketen beschlossen wird, seufzt es nicht etwa vor Erleichterung auf und dankt nicht für die Feuerpause."

Der Historiker Gerd Koenen scheut angesichts dieser "phantastischen Weltbrandstiftungsszenarien (...), die noch aus der 'atomaren Asche' den neuen Menschen entstehen sahen", nicht vor einem Vergleich mit der "Dschihadistenlyrik" eines Osama bin Laden zurück. Ches führende Rolle bei den Revolutionsgerichten, die nach Schätzungen über 2.000 Todesurteile aussprachen, und die auf seine Initiative errichteten Arbeitslager für politische Feinde der Revolution, Dissidenten und Homosexuelle sind ebenfalls in diesem Kontext zu sehen. Andererseits war er persönlich bescheiden und unbestechlich und wies sämtliche Vergünstigungen für sich und seine Familie zurück. Doch war seine ideologische und politische Arbeit nicht von Erfolg gekrönt.

Fehlende Fachkenntnis in Wirtschaftsfragen

Im Kongo und in Bolivien, wo er schließlich von den verarmten Bauern, die er eigentlich befreien wollte, an die Armee verraten wurde, scheiterte die Umsetzung seiner Theorie der Methode, Strategie und Taktik des modernen Guerillakampfes ("Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnams!") in die Praxis kläglich. Aufgrund seiner fehlenden Fachkenntnis in Wirtschaftsfragen und seiner allzu engen ideologischen Anlehnung an sowjet-kommunistische Positionen - damals noch im Gegensatz zu dem stärker pragmatisch und realpolitisch geprägten Fidel Castro, der die Kommunistischen Parteien als "impotente Kirchen" kritisierte - hatte er schon zuvor als Leiter der Kubanischen Nationalbank und ab 1961 als Industrieminister glücklos agiert.

Unter Guevaras Kommando kam die Zuckerproduktion fast vollkommen zum Erliegen, die Getreideproduktion halbierte sich, und die Industrialisierung scheiterte. Dies war zum einen dem gewohnten kubanischen "Schlendrian" zuzuschreiben, zum anderen aber auch der rigide durchgesetzten Planwirtschaft. Nur dank der Wirtschaftshilfe der Sowjetunion wurden größere Hungersnöte auf der Antilleninsel vermieden. Beinahe zwangsläufig kam es also zu Differenzen mit Castro und zu Guevaras Rückzug von seinen politischen Ämtern. Sein Idealbild vom "Neuen Menschen", der sich uneigennützig für die Revolution und den Sozialismus aufopferte, ließ sich indes auch außerhalb Kubas nicht verwirklichen.

Foto: Das Konterfei Che Guevaras als omnipräsentes Attribut der Popkultur: "Dschihadistenlyrik"

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