© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

Korrektiv gegen die Volkspädagogen
Am 18. Juni wird der Historiker Alfred Schickel, Gründer der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt, 75 Jahre alt
Klaus Hornung

Ist das heutige Deutschland eine freie Bürgergesellschaft? Von ihr ist derzeit zwar die Rede, doch tatsächlich stellt sich unser Land vor allem als Parteienstaat und Gesellschaft mächtiger Verbände und ihrer Oligarchien dar. Wo immer einer die Initiative zur Bildung einer wirklichen Bürgervereinigung unternimmt, versuchen die Mächtigen sogleich, ihn "einzubinden", durch Subventionen abhängig zu machen, seine Freiheit auf jeden Fall zu beschneiden, wenn nötig mit den Methoden der Political Correctness bis hin zu Rufmord oder Totschweigen. Das hat auch Alfred Schickel zur Genüge erfahren, der am 18. Juni seinen 75. Geburtstag begeht und vor 25 Jahren mit seiner Bürgerinitiative der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) hervorgetreten ist,

Der promovierte Historiker, seit 1974 Leiter des katholischen Bildungswerks Ingolstadt, hatte bemerkt, wie sehr viele Deutsche, auch in der Historikerzunft, zu einem konformistischen Umgang mit der Geschichte neigen, der mehr von politischer und ideologischer Opportunität bestimmt wird als von wirklicher und wahrheitsverpflichteter Aufklärung. Insbesondere gilt dies für die Geschichte des 20. Jahrhunderts, des totalitären Zeitalters. Aus der ZFI sind bald Anstöße und Ergebnisse hervorgegangen, die freilich manchem offiziellem Konformismus widersprachen.

Die ZFI begann mit drei gewichtigen Büchern Schickels, "Deutsche und Polen" (1984), "Vergessene Zeitgeschichte" (1985) und "Die Vertreibung der Deutschen" (1986). Er rehabilitierte manche nach seiner Meinung ungerecht beurteilte Zeitgenossen wie etwa Theodor Oberländer oder den letzten österreichischen Bundeskanzler vor dem Anschluß, Kurt Schuschnigg. Eine wichtige Publikation der Forschungsstelle brachte den geringen Quellenwert des nach dem Krieg weit überschätzten Buches von Hermann Rauschning, "Gespräche mit Hitler", ans Licht. Aufgrund seiner Quellenstudien, unter anderem in den National Archives in Washington, stellte Schickel die Mitverantwortung des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt am Zweiten Weltkrieg heraus.

In der zum Jubiläum der Forschungsstelle erschienenen Festschrift "25 Jahre ZFI" bekundete Schickel erneut sein Anliegen, "dem Vaterland in Liebe zur geschichtlichen Wahrheit verbunden zu bleiben und sich nicht vor dem herrschenden Zeitgeist wider besseres Wissen den jeweils dominierenden 'Nach-Richtern' und ihren Verdikten über die Vätergeneration anzuschließen". Auch er vertrat die Auffassung, daß es der Geschichtswissenschaft nicht moralisierend um "Schuld und Sühne" zu gehen habe, sondern um die Erforschung von "Ursachen und Wirkungen" (Hans Rothfels).

Bemühung um die geschichtliche Wahrheit

Es konnte nicht ausbleiben, daß Schickel früher oder später ins Visier der antifaschistischen Political Correctness geraten mußte, im Klartext: einer politischen und ideologischen Zensur, die mit dem Geist und der Verfassung einer freiheitlichen Demokratie zutiefst unvereinbar ist, aber gleichwohl von ebenso dienstbeflissenen wie weithin kenntnislosen Kleingeistern in Politik und Medien ausgeübt wird.

Alfred Schickels christliche Gelassenheit steht hoch über solchen Anwürfen. Er und die ZFI haben sich freilich nie gescheut, sogenannte heiße Eisen der Zeitgeschichte anzufassen, so erneut bei der jüngsten Tagung im Mai dieses Jahres. Hier referierte der Bundesrichter a. D. Heinrich Beisse eingehend über die Ursachen und historischen Auswirkungen des Rußland-Feldzugs von 1941 und den damit verbundenen Historikerstreit, der durch das jüngste Buch des polnisch-deutschen Historikers Bogdan Musial "Kampfplatz Deutschland. Stalins Kriegspläne gegen den Westen" (JF17/08) eine neue Zuspitzung erfuhr. Beisse verweist auf die Kriegsmemoiren keines Geringeren als Winston Churchills (Band IV, 2. Buch), wonach Stalin ihm gegenüber selbst den Herbst 1941 als seinen geplanten Angriffstermin nach Westen genannt habe. Beisse widerspricht hier auch Musial: Hitler habe spätestens seit April 1941 um das gewaltige Bedrohungspotential der Roten Armee gewußt, so daß man durchaus von einem deutschen Präventivangriff auf Stalins Reich statt von einem "deutschen Überfall auf die friedliebende Sowjetunion" sprechen könne. Die These läßt neue Angriffe der Vertreter der reinen Lehre erwarten, obwohl die Argumente und Belege der "Revisionisten" jedenfalls in diesem Punkt immer erdrückender geworden sind.

Alfred Schickel ist sudetendeutscher Vertriebener, Angehöriger einer deutschen Volksgruppe, deren Schicksal ebenso wie das der Millionen Ostpreußen, Schlesier und Pommern ein oft vergessenes Geschichtsgesetz bestätigt, das der "ungewollten Wirkungen". Nach dem Kalkül der Sieger von 1945, der Stalin, Beneš oder Roosevelt, hätte die Vertreibung von 16 Millionen Ostdeutschen in das zerbombte Restdeutschland hier ein Armenhaus entstehen lassen sollen, um es so dauerhaft zu einem Objekt des Willens der anderen zu machen. Nicht zuletzt sollte hier das revolutionäre Potential entstehen, das vor allem Stalin zu nutzen gedachte. Diese Hoffnungen erfüllten sich nicht. Westdeutschland erhob sich aus den Ruinen, nicht zuletzt auch dank des Wiederaufbauwillens der Millionen Vertriebenen.

Alfred Schickel ist einer von ihnen, stellte seine Kraft in den Dienst unseres Landes, um ihm durch die Bemühung um die geschichtliche Wahrheit seinen Weg in die Zukunft zu bahnen - ein Verdienst, das ihm später nicht immer in ausreichendem Maß gedankt wurde. So ist spätestens jetzt geboten, ihm diesen Dank des Vaterlandes abzustatten.

Foto: Alfred Schickel, ZFI-Leiter und Gründer: Wegen seiner wissenschaftlichen Arbeit ins Visier antifaschistischer Moralwächter geraten

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen