© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

"Europa ist gemacht, um zu schützen"
Einwanderungspolitik: Der nächste EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy schmiedet EU-Immigrationspakt
Michael Paulwitz

Die "Festung Europa" wird Chefsache: Nicolas Sarkozy, der am 1. Juli den EU-Vorsitz übernimmt, will während der französischen Ratspräsidentschaft einen europäischen "Pakt über Immigration und Asyl" auf den Weg bringen. Kernstück des Prestigeprojekts ist die Verschärfung der Kontrollen an den EU-Außengrenzen und eine strengere Abschiebepraxis: "Es gibt keinen Platz für heimliche Einwanderer", betonte Sarkozy.

Europa habe nicht die Mittel, die jährlich drei Millionen Menschen "würdevoll zu empfangen, die in ihm ein Eldorado sehen", heißt es in dem Entwurf, den die Pariser Diplomatie derzeit mit den EU-Staaten abstimmt. Die Argumentation verrät, daß auch Sarkozy Einwanderung nur als zu steuernden ökonomischen Faktor betrachtet und die kulturelle Dimension (wie den Islam) gezielt ausklammert.

Der Pakt ist als Grundlage für eine gemeinsame Einwanderungs- und Asylpolitik gedacht und soll härtere Auflagen für legale Einwanderung mit schärferen Maßnahmen gegen illegale Einwanderer verbinden. Zur Verbesserung der Kontrollen an den Außengrenzen soll die bislang kaum in Erscheinung getretene EU-Agentur Frontex zur vollwertigen Grenzschutzpolizei ausgebaut werden.

Ein "Informationsbüro" wird nach Pariser Vorstellungen zunächst die Bewertung der Sicherheitslage in Asyl-Herkunftsländern vereinheitlichen; binnen fünf Jahren sollen gemeinsame EU-Asylkriterien und ein europäisches Flüchtlingsstatut erarbeitet werden. Ab 2011 sollen Ausländer aus Drittstaaten nur noch Visa mit biometrischen Daten erhalten. Verschärft werden müsse auch die Abschiebepraxis; schließlich werde derzeit "nur eine von drei Abschiebemaßnahmen auch durchgeführt", konstatiert das Sarkozy-Papier. Mehr Effizienz verspricht man sich vom forcierten Abschluß von Rückführungsabkommen mit Dritt- und Nachbarstaaten.

Sarkozy will mit seinem Projekt nicht zuletzt die Popularität der EU bei den Bürgern heben, die dem Projekt einer immer engeren Integration in Irland soeben eine klare Abfuhr erteilt haben: "Europa ist gemacht, um zu schützen", erklärte er beim Wiener Treffen mit dem österreichischen Kanzler Alfred Gusenbauer. An eine aktive Mitbestimmung der Bürger, ob und welche Einwanderung sie überhaupt wünschen, denken die beiden freilich genausowenig wie die Brüsseler Eurokratie. Ohnedies sind "Immigrationspakte" à la Sarkozy leichter geschrieben als umgesetzt. Gerade afrikanische Regierungen, räumt der französische Innenminister Brice Hortefeux ein, mauerten regelmäßig beim Drängen auf Rückführungsabkommen, wenn ihnen nicht zugleich großzügige legale Einwanderungsangebote gemacht würden.

So leicht sind die illegalen Einwanderer nicht loszuwerden, die in der gesamten EU auf sechs bis zehn Millionen geschätzt werden. Massenlegalisierungen Illegaler wie zuletzt in Spanien und Italien halten die Autoren des französischen Paktentwurfes mit gutem Grund für falsch: Damit würden nur noch mehr illegale Einwanderer angelockt.

Einfach wird es also nicht, alle 27 EU-Staats- und Regierungschefs auf eine Linie zu bringen, damit der Pakt noch in diesem Jahr von allen verabschiedet werden kann. Zumal sich die französische Ratspräsidentschaft mit dem Ziel, auch das umstrittene "Klimapaket" unter Dach und Fach zu bringen, noch ein weiteres Großprojekt vorgenommen hat - vom Krisenmanagement um den soeben am irischen Volk gescheiterten Lissabon-Vertrag ganz zu schweigen. Gut möglich also, daß auch von dieser Initiative am Ende nur noch schöne Ankündigungen übrigbleiben.

Nicht einmal im besonders betroffenen Italien gelingt es, daß beim Vorgehen gegen illegale Einwanderung alle an einem Strang ziehen. Silvio Berlusconi hatte Anfang Juni nach einem Treffen mit Sarkozy erklärt, Italien werde illegale Einwanderung nicht als Straftatbestand, sondern lediglich als "erschwerenden Umstand" bei anderweitig straffälligen Ausländern betrachten. Damit brüskierte Italiens Premier seinen Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord, der im Einklang mit dem Koalitionsvertrag einen Gesetzentwurf vorgelegt hatte, der Illegalen Haftstrafen zwischen sechs Monaten und vier Jahren androht.

Nach Lega-Protesten dementierte der Premier, unter dem Eindruck der Kritik von Uno und Vatikan an der Ausländerpolitik seiner Regierung einen Rückzieher gemacht zu haben; nicht ohne den Hinweis, daß in Italien täglich bis zu tausend Illegale einträfen - "wenn alle verhaftet werden sollen, wäre kein einziger Platz in den Gefängnissen frei".

Dies wirft ein Licht auf die grundsätzliche Fragwürdigkeit einer europäisch statt national organisierten Einwanderungskontrolle. Schon innerhalb Italiens wird das Drängen der Lega-Politiker des Nordens, wo man die Hauptlast der sozialen Folgekosten trägt, nach einer wenigstens an deutschen oder französischen Maßstäben ausgerichteten Einwanderungskontrolle nicht von allen Kollegen in Süditalien geteilt - mancher Latifundienbesitzer macht dort mit illegalen Einwanderern kräftige Profite.

Geldtransfers allein werden die Abwehr illegaler Einwanderer, die es in die deutschen Sozialsysteme zieht, nicht zu einem Herzensanliegen rumänischer oder bulgarischer Politiker machen. Auch eine gestärkte Frontex wird kein Ersatz für die weggefallenen nationalen Grenzkontrollen als effektivstes Mittel zur Unterbindung illegaler Einwanderung sein können.

Foto: Illegale Einwanderer auf der griechischen Insel Korfu: Abschluß neuer Rückführungsabkommen?

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