© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

Nachkommenschaft in Gefahr
Genverändertes Sojamehl: Russische Studie weist Tot- und Fehlgeburten bei Ratten nach
Michael Howanietz

Häufig findet sich in kritischer Literatur zur Gentechnik der Hinweis auf den Zusammenhang zwischen gentechnisch verändertem Saatgut und Unfruchtbarkeit oder Fehlgeburten. Eine im Institut für Höhere Nervenaktivität und Neurophysiologie der Russischen Akademie der Wissenschaften durchgeführte Studie der Biologin Irina Ermakowa führt nun den wissenschaftlichen Nachweis für derartige Berichte.

In den Experimenten wurden weibliche Ratten vor der Empfängnis und während des Säugens unter Beigabe genmodifizierten Sojamehls gefüttert. Die Kontrollgruppe wurde ohne Zusätze ernährt. Während Geburtsvorgang und Nachwuchs bei dieser Gruppe keinerlei Auffälligkeiten zeigten, wiesen die mit Gentechnik-Beigaben ernährten Ratten eine hohe Zahl an Totgeburten (über 50 Prozent) bzw. Würfe mit höchst labiler Konstitution und einem Geburtsgewicht von unter 20 Gramm auf.

Als besonders beunruhigend an diesen Resultaten bezeichnete Ermakowa die Ähnlichkeit der Morphologie wie der biochemischen Strukturen von Ratten und Menschen. Die Konsequenzen, welche die Nahrungszusätze bei den Ratten zeitigten, sind demnach eventuell auch bei in ähnlicher Weise ernährten Menschen zu erwarten - ein bedrohliches Szenario.

Neben der erstmaligen, in Zugang und Schlußfolgerung der Tendenziösität unverdächtigen Bestätigung ihrer bislang auf hinterfragbare Quellen gestützten Befürchtungen bergen die Ergebnisse der Ermakowa-Studie jedoch eine vage Zukunftshoffnung.

Ermakowa wurde in Rußland weder an der Veröffentlichung ihrer Erkenntnisse gehindert, noch wurden diese geschönt oder schubladisiert. Damit, so hoffen die von Welthandelsorganisation (WTO), EU-Kommission und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) übergangenen Gentechnik-Kritiker, könnte sich die Chance zu einer europäisch-russischen Allianz für gentechnikfreie Landwirtschaft auftun.

Aber wie diese angesichts globalisierter Märkte, lascher Kontrollen und leichtfertiger Zulassungen praktisch umsetzbar wäre, bleibt offen. Kommerzieller Gentechnik-Anbau steht in der EU-27 nicht mehr auf dem Prüfstand, sondern er ist großflächige Realität. Es gibt in der EU eine lückenhafte Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittelinhaltsstoffe, von der tierische Produkte ausdrücklich ausgenommen sind. Die EU-Öko-Verordnung hat den Grenzwert der erlaubten gentechnischen Verunreinigung von Bio-Lebensmitteln auf 0,9 Prozent vervielfacht. Und es gibt die berechtigte Sorge vor Strafzöllen der USA auf europäische Produkte, sollten weiterhin Gentechnik-Import- und Anbauverbote in den Mitgliedsländern geduldet werden.

Hinzu kommt die massive Lobbyarbeit der US-Gentechnik-Industrie in Brüssel, die - im Verein mit dem WTO-Sanktionsinstrumentarium - über hohe Durchsetzungskraft verfügt. Der vorerst abgelehnte EU-Vertrag hätte durch die Abtretung nationalstaatlicher Hoheitsrechte und Entscheidungsbefugnisse künftige Sonderregelungen in diesem Bereich verunmöglicht. Der für 2015 geplante transatlantische Binnenmarkt Nordamerika/EU (Tafta) könnte mögliche gesamteuropäische Schulterschlüsse vollends obsolet machen, da dann auf den europäischen Markt zu kommen hat, was private US-Zulassungsgremien als unbedenklich qualifizieren.

Den Europäern bleibt nur noch wenig Zeit, um angesichts ihrer berechtigten Vorbehalte mittels seriöser Risikoforschung, strenger Zulassungsmodalitäten und Anbau- sowie Importverboten das Schlimmste zu verhindern. Die bedenklichen Ergebnisse der Ermakowa-Studie sollten Anlaß genug dazu geben.

Eine englische Kurzfassung der Studie "Genetically modified organisms and biological risks" findet sich im Internet: www.irina-ermakova.by.ru/eng/articles.html 

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