© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

Pankraz,
Basileios II. und die geblendete Armee

Kriegsverbrechen sind schlimm, schlimmer sind die Nachkriegsverbrechen. Es gibt im Grunde keinen deprimierenderen Anblick als einen siegreichen Krieger, der an seinem Gegner nach Abschluß der Kampfhandlungen und dessen erklärter Niederlage "Rache" nimmt, sich nun erst an ihm und den Seinen richtig austobt und sich dabei auch noch im Recht wähnt.

Im höheren Tierreich, außer beim Menschen, kommt so etwas nicht vor. Wenn zwei Hunde gegeneinander kämpfen und der eine unterliegt, legt er sich auf den Rücken und streckt dem Sieger die ungeschützte Kehle zum Durchbeißen hin. Doch der Sieger beißt nicht zu, er kriegt durch das Signal eine Beißhemmung und verzieht sich grollend. Wie gesagt, beim Menschen gilt das nicht. Dem Sieg in der Schlacht folgt regelmäßig die Brandschatzung des feindlichen Hinterlands, und damit ist es noch keineswegs getan, im Gegenteil.

Es gibt lediglich einen "Hiatus", eine Unterbrechung der Gewalt, wo die Sieger zur Beratung über die "weiteren Maßnahmen" zusammentreten. Und dann geht es mit den Grausamkeiten erst richtig los. Das Umbringen, Zerstören, Ausrauben, Wegführen, Demütigen und Quälen wird gleichsam rationalisiert, wird mit sadistischen Steigerungsgraden versehen und zeremoniell in Form gebracht. Es beginnt das eigentliche Nachkriegsverbrechen, dessen Dimensionen allenfalls bei gewissen Ameisenvölkern eine Parallele finden, welche ihre besiegten Gegner ins eigene Nest schleppen und dort lebendigen Leibes an den Nachwuchs verfüttern.

Eines der größten Werke aus der Frühzeit der abendländischen Literatur ist den Nachkriegsverbrechen gewidmet: "Die Troerinnen" des Euripides, wo ausführlich gezeigt wird, wie die siegreichen Griechen um die Frauen und Kinder der bereits getöteten Trojanerfürsten streiten. Es geht da zum Beispiel um die Frage, wer welche umbringen oder vergewaltigen "darf" oder welche Todesart man dem kleinen Astyanax angedeihen läßt, dem Söhnchen des längst gefällten und um die Mauern geschleiften Hektors. Der Junge wird die Klippe hinuntergeworfen, und sein Leichnam darf nicht gereinigt und beerdigt werden.

Aber das ist Literatur. Vor gerade tausend Jahren indessen geschah eines der gräßlichsten wirklichen Nachkriegsverbrechen, wohl das gräßlichste überhaupt, das die Geschichte kennt. Der byzantinische Kaiser Basileios II. (958 bis 1025) hatte seinen langjährigen Krieg gegen Bulgarien gewonnen, das bulgarische Restheer von 15.000 Mann hatte sich nach tapferem Widerstand und nach Versprechen "gnädiger", fairer Behandlung seitens der Griechen ergeben und wurde nun in einem Talkessel gefangengehalten. Der Kaiser und seine Räte traten zusammen, um über das Schicksal der "Armee hinter Stacheldraht" zu entscheiden.

Die Lage - das sei zugegeben - war für die Byzantiner etwas unübersichtlich. Samuel, der Fürst der Bulgaren, ein sehr begabter Heerführer und Stratege, war nicht mitgefangen, er saß im fernen Ohrid, hatte seine totale Niederlage noch nicht voll begriffen und sann auf neue Schachzüge. Aber die Historiker sind sich einig: Eine byzantinische Delegation mit den Köpfen seiner besiegten Feldherren im Gepäck und mit konkreten Friedensvorschlägen hätten ihn zur Unterwerfung gebracht. Samuels Spiel war aus.

Was tut Kaiser Basileios? Er gibt einen dämonischen Befehl, der seine Räte entsetzt und seine sämtlichen Frauen in Mitleidstränen ausbrechen läßt. Allen 15.000 gefangenen Bulgaren, so ordnet er an, sind die Augen auszustechen, und diese blindgemachte Armee wird dann dem Samuel nach Ohrid zurückgeschickt, um ihn zu verhöhnen und in zusätzliche Not zu bringen. Jedem hundertsten Mann ist jeweils nur ein Auge auszustechen, dadurch entsteht eine Truppe von nur halbblinden Kompaniechefs, die die vollblinde Armee auf den Weg nach Hause leiten kann. Proviant für die Blinden und Halbblinden gibt es nicht; sollen sie "sehen", wo sie bleiben.

Leider (oder glücklicherweise) gibt es keinen byzantinischen Hofschreiber oder Militärkorrespondenten, der uns überliefert, was nun im Tal der Gefangenen passierte. Man kann es sich jedoch einigermaßen vorstellen. Ärzte, erfahrene Chirurgen, werden nicht eingesetzt, sind gar nicht vorhanden, Verbandszeug zum Blutstillen gibt es nicht. Die gröbsten Kerle der Byzantiner werden zur Exekution abgestellt. Mit ihren Lanzen stechen sie wahllos in die Gesichter der vor Schmerz Aufheulenden, der um Gnade Flehenden, der trotzig Fluchenden. Tagelang geht das so.

Und dann der Elendszug quer durch den Balkan nach Ohrid! Die vielen Sterbenden, die am Weg zurückbleiben und von den Wölfen gefressen werden. Das Dauergeheul, die schwärenden Wunden, der Gestank. Als die Reste der Blindenarmee vor dem Hauptquartier von Samuel ankommen, bricht der vor Seelenschmerz zusammen, fällt in eine Ohnmacht, aus der er nicht wieder aufwacht, stirbt bald darauf. Sein Reich, das sogenannte "erste Bulgarenreich", zerfällt. Das Kalkül des Imperators Basileios ist voll aufgegangen. Die christlichen Metropoliten in Konstantinopel preisen seine Macht und Weisheit.

Sicher, es gab andere Nachkriegsverbrechen, die uns ebenfalls das Blut in den Adern gefrieren lassen. Die siegreichen Mongolen in Bagdad legten alle Babies der Stadt auf einen Marktplatz und ließen ihre Reiter darüber hinwegreiten, bis sich nichts mehr regte. Die Engländer lieferten die Kosaken, die sich nach 1945 dem Westen ergeben hatten, bis zum letzten Jüngling und bis zur letzten Krankenschwester den Bolschewiken aus, obwohl sie genau wußten, was diese mit ihnen anstellen würden. Die Welt ist voll von Nachkriegsverbrechen. Aber die Tat des Basileios II. ragt doch heraus. Sie liefert gewissermaßen das Paradigma, die Blaupause.

Wie gut, daß es auch Gegenbeispiele gibt, vornehme Sieger, maßvolle Friedensschlüsse wie etwa den Wiener Kongreß von 1815 mit Metternich, Talleyrand und Wilhelm von Humboldt als Hauptakteuren!

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