© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Volksbildung
Karl Heinzen

In den vergangenen Monaten konnte der Eindruck entstehen, daß zunehmend unappetitliche Probleme wie Armut, Klimawandel, Afghanistan, Energiepreise oder Armut die politische Tagesordnung bestimmen. Nun jedoch hat Angela Merkel von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und ein Thema an die Spitze der Agenda gesetzt, das einer Kulturnation wie der deutschen eher angemessen ist: Bildung, so die Kanzlerin auf einer Festveranstaltung zum 60. Jahrestag der Wirtschafts- und Währungsreform, wird die zentrale Aufgabe des nächsten Jahrzehnts sein. Und damit niemand höhnen kann, daß dies nur so dahergesagt wäre, hat sie auch sogleich einen nationalen Bildungsgipfel für den kommenden Oktober angekündigt, auf dem, man kennt das von vergleichbaren Konferenzen zu anderen wichtigen Themen, alle notwendigen Weichenstellungen vorgenommen werden sollen.

Da Bildung sehr kostspielig ist und somit kein Selbstzweck sein kann, hat sich Angela Merkel auch um eine nahezu philosophische Begründung ihrer Entscheidung bemüht. Dabei versuchte sie, dem Anlaß ihrer Rede gemäß, an Ludwig Erhard anzuknüpfen, dessen Sinnspruch "Wohlstand für alle" in der Gründerzeit der Bundesrepublik zum zentralen Postulat der Sozialen Marktwirtschaft geworden war.

Heute, und dies weiß wohl niemand so gut wie die Kanzlerin, sollte dieses Versprechen an die Bürger anders als vor 60 Jahren lieber unterbleiben, da es zu der Fehleinschätzung verleitet, alle könnten vom Wachstum profitieren, obwohl dies doch naturgemäß nur sehr wenigen möglich ist. "Wohlstand für alle", so die Kanzlerin, solle daher heute eher "Bildung für alle" heißen. Dieses Postulat einer neuen, von manchen Nostalgikern immer noch als sozial deklarierten Marktwirtschaft hat den Charme, daß es den Blick von den Niederungen schnöder Konsumwünsche abwendet und auf höhere Güter des Geisteslebens richtet, die dem Ethos einer postmaterialistischen Gesellschaft viel besser zu Gesicht stehen.

Zudem signalisiert es unmißverständlich, daß es gar nicht so sehr die Qualität der Politik ist, die über das zukünftige Wohlergehen unseres Landes entscheidet. Es sind vielmehr die Bürger selbst, in deren Händen ihr eigenes Schicksal liegt. Im Zeitalter der Globalisierung stehen sie, so Merkel, im Wettbewerb mit "Milliarden tüchtiger Menschen". Wenn sie nicht hart an sich selbst arbeiten, dürfen sie sich nicht wundern, daß sie allmählich ins Hintertreffen geraten, da es plötzlich kein Unternehmen mehr gibt, das aus ihrer Arbeit Kapital schlagen kann.

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