© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

Herausforderung des Freiheitswillens
Vor sechzig Jahren spitzte sich der Kalte Krieg mit der Blockade der Berliner Westsektoren durch die Sowjets zu
Ulrich Kappenstein

Der seit Kriegsende schwelende Konflikt der Westalliierten USA, Frankreich und Großbritannien mit der Sowjetunion steuerte in der Nacht zum 24. Juni 1948 auf einen dramatischen Höhepunkt zu. Völlig unerwartet schnitt Moskau den Berliner Westteil von allen Lebensadern ab. Aus "technischen Gründen" - so die Behauptung Moskaus - wurden ein Großkraftwerk abgeschaltet und die Stromzufuhr gekappt, die Zufahrtswege auf Straßen, Schienen und zu Wasser gesperrt: Die drei westlichen Sektoren der Stadt, allein auf sich gestellt nicht lebensfähig, waren plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten und gerieten in eine lebensgefährliche Krise. Lediglich die drei Luftkorridore von Hamburg, Hannover und Frankfurt am Main zu den Westsektoren tastete die Sowjetunion nicht an. Diese waren im November 1945 und Oktober 1946 zwischen den Alliierten zur Abwicklung des Luftverkehrs abgesprochen worden.

Moskau suchte mit diesen Maßnahmen die Machtprobe: Washington, London und Paris sollten zum Rückzug gezwungen, Berlin von den westlichen Besatzungszonen abgeschnitten und die gesamte Stadt in die Sowjetische Besatzungszone eingegliedert werden. Damit versuchte die UdSSR den Schlußstrich unter eine Entwicklung zu setzen, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 abgezeichnet hatte und laufend verschärfte, Moskau den Westmächten zunehmend entfremdete und letztlich zum Bruch der alliierten Viermächteverwaltung führte. Diese sah gemäß der Potsdamer Konferenz 1945 die gemeinsame Behandlung Deutschlands als Ganzen vor. Zu diesem Zweck hatten die Siegermächte den Alliierten Kontrollrat gegründet, der jedoch angesichts des sich verschärfenden ideologischen Gegensatzes und der konfrontativen politischen Entwicklung in Europa kaum noch handlungsfähig war. Die Neubelebung der kommunistischen Weltbewegung in Gestalt des Kommunistischen Informationsbüros  durch Stalin und der kommunistische Umsturz in der Tschechoslowakei im Februar 1948 offenbarten den tiefen Riß, der die Westmächte und die Sowjetunion entzweite.

Ersteren wurde klar, daß die drei westlichen deutschen Besatzungszonen nur dann wirtschaftlich gestärkt und in das westeuropäische Wirtschaftssystem integriert werden konnten, wenn die durch die USA eingeleitete wirtschaftliche Hilfe mittels des Marshall-Plans in Westdeutschland erfolgreich war. Daher hatte die Londoner Sechsmächtekonferenz (neben den Westalliierten mit Belgien, den Niederlanden und Luxemburg) im Frühjahr 1948 die Empfehlung ausgesprochen, aus den drei westlichen Besatzungszonen einen westdeutschen föderativen Staat zu bilden und - da die Reichsmark als Währung nicht mehr aufrechtzuerhalten war - als Grundlage dazu eine gemeinsame Währungsreform durchzuführen.

Sie sollte ursprünglich alle vier Besatzungszonen umfassen, jedoch schlugen alle diesbezüglichen Verhandlungen fehl und es begannen die separaten Vorbereitungen in den drei Westzonen. Dies konnte nicht im Sinn der Sowjetunion sein, deren Vertreter am 20. März 1948 unter Protest den Kontrollrat verließ und danach nie wieder dort seinen Platz einnehmen sollte. Moskau setzte seine bereits 1947 im Zuge der wachsenden Ost-West-Spannungen eingeführte Politik der Nadelstiche mit einer schleichenden Blockade der Zugänge nach West-Berlin fort, die die Briten und US-Amerikaner mit einer Verstärkung der Frachtflüge beantworteten.

Als die Westmächte am 20. Juni 1948 eine Währungsreform in ihren Besatzungszonen durchsetzten, antwortete die Sowjetunion mit einer eigenen Währungsreform in ihrer Zone. Diese sogenannte Ost-Mark sollte jedoch in ganz Berlin gelten, was den Widerstand der Westalliierten auf den Plan rief. Sie betonten die Gültigkeit der D-Mark als neuer Währung auch in den drei westlichen Sektoren Berlins. Damit kam es zum Eklat, und die Schlagbäume senkten sich an den Zufahrtswegen von Binnenschiffahrt, Bahnstrecken und Straßen nach West-Berlin: die totale Blockade der Berliner Westsektoren durch die Sowjetunion begann, nur die drei Luftkorridore wurden davon ausgenommen. Dem amerikanischen Militärgouverneur Lucius D. Clay wurde von Moskau mitgeteilt, daß diese Maßnahmen so lange aufrechterhalten würden, bis die Pläne einer westdeutschen Regierung in den Schubladen verschwänden.

Diese totale Blockade der Stadt traf die Westalliierten völlig unvorbereitet, niemand hatte mit einer derart radikalen Politik der UdSSR gerechnet. Daher waren sich London, Paris und Washington zunächst nicht einig, wie darauf zu reagieren sei. Schließlich ging es um nicht weniger als die herkulische Aufgabe, die Stadt mit ihren 2,2 Millionen Einwohnern lebensfähig zu halten - oder Berlin aufzugeben. Berlin wurde somit zum Symbol des Widerstands gegen Stalin, sein sowjetisches Regime und den kommunistischen Weltherrschaftsanspruch. So scharte sich die Berliner Bevölkerung um den Oberbürgermeister Ernst Reuter, den die Sowjets an einer Amtsübernahme gehindert hatten und der sich mit Clay darin einig war, die Stadt aus der Luft mit allem Nötigen zu versorgen. Die USA richteten mit allen verfügbaren Transportflugzeugen eine "Luftbrücke" ein, die - später auch als "Rosinenbomber" bezeichnet - von Juni 1948 bis Mai 1949 in mehr als 270.000 Flügen 1,83 Millionen Tonnen Frachtgut nach Berlin brachten. Alle zwei Minuten landete eine Maschine in der Stadt. Auch die Briten beteiligten sich ebenso wie die Franzosen an der Aktion, die in ihrem Sektor den Flughafen Tegel errichteten. Unfälle und Abstürze kosteten 78 Angehörige der alliierten Luftstreitkräfte und des deutschen Personals das Leben.

Die Blockade bewirkte das Gegenteil des von Moskau Beabsichtigten, denn sie brachte die ehemaligen Kriegsgegner stärker zusammen. Die Westalliierten solidarisierten sich mit den Westdeutschen, der Freiheits- und Beharrungswille der Berliner begründete eine emotionale Verbundenheit des Westens mit Berlinern und Westdeutschen, die besonders in der "Frontstadt" in ein enges Vertrauensverhältnis mündete. Die Sowjetunion mußte einsehen, daß sie ihre Ziele mit der Blockade Berlins nirgends erreicht hatte: sie hatte weder die Westmächte aus Berlin vertreiben noch die Gründung eines westdeutschen Teilstaates verhindern können. West-Berlin hatte sich als überlebensfähig erwiesen und Moskau wider Willen das atlantisch-westliche Band der Verbundenheit gestärkt.

Daher verpflichtete sich die Sowjet-union am 4. Mai 1949 im sogenannten Jessup-Malik-Abkommen in New York, die Blockade der Zufahrtswege nach West-Berlin aufzuheben. Nur vier Tage später, am 8. Mai 1949, verabschiedete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und hatte damit einen der wichtigsten Gründe für die Blockade Berlins obsolet werden lassen. Erst nach der Ratifizierung durch alle Bundesländer wurde das Grundgesetz am 23. Mai 1949 in einer feierlichen Sitzung des Parlamentarischen Rates verkündet.

Für einen ausführlichen Einstieg in die Thematik eignet sich die Übersicht von Udo Wetzlaugk "Berliner Blockade und Luftbrücke 1948/49", wer hingegen eher an den technischen Abläufen der Luftbrücke interessiert ist, sollte auf das 2008 erschienene Buch von Wolfgang Huschke "Die Rosinenbomber" zurückgreifen. "Das Krisenmanagement der Vereinigten Staaten während der Berliner Blockade (1948/1949). Intentionen, Strategien und Wirkungen" in den "Historischen Forschungen", Bd. 25 stammt zwar aus dem Jahr 1984, ist aber für eine detaillierte fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema immer noch richtungweisend.

Brennpunkt Berlin: Die Blockade 1948/49. Der Fotojournalist Henry Ries. Eine Ausstellung 21. September 2008 im Pei-Anbau des Deutschen Historischen Museums, DHM Berlin.

Foto: US-Transportflugzeug C-54 Skymaster ("Rosinenbomber") im Landeanflug auf den Flughafen Tempelhof, Oktober 1948: Moskau hatte wider Willen die atlantisch-westliche Verbundenheit gestärkt

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