© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

"Größte Versammlung von Schlawinern"
EU-Reformvertrag I: Bloß nicht nachdenken - so lautet das Motto des Brüsseler Krisenmanagements nach dem irischen Nein zu Lissabon
Michael Paulwitz

So schnell gibt die EU ihre schlechten Angewohnheiten nicht auf. Darüber nachzudenken, ob die EU mit der forcierten Vertiefung der europäischen Integration auf dem richtigen Kurs ist, stand nicht auf dem Programm des Brüsseler Krisengipfels eine Woche nach dem Volksabstimmungs-Nein der Iren zum Lissabonner Vertrag. Statt dessen wog man verschiedene Tricks und Kniffe ab, mit denen man die irischen Ausreißer wieder in die Karawane zurückholen könnte.

Selbstverständlich respektiere man das Votum und wolle die Iren nicht unter Druck setzen, beteuerten die europäischen Staats- und Regierungschefs und taten dann das genaue Gegenteil. Dem irischen Premier Brian Cowen, der um Zeit für die "Analyse" und für die Suche nach "Lösungsmöglichkeiten" gebeten hatte, wurde ein faktisches Ultimatum gesetzt: Bis zum nächsten Treffen im Oktober erwarte man seine Vorschläge.

Eine "Reflexionsphase" wie nach dem Scheitern der "EU-Verfassung" an Plebisziten in Frankreich und den Niederlanden werde es diesmal nicht geben, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon vor dem Gipfeltreffen ausgeschlossen. Die EU sieht sich im Zeitdruck: Wird vor der Europawahl und der Neubesetzung der EU-Kommission im Sommer 2009 die künftige Vertragsbasis nicht geklärt, droht beides im Chaos zu enden.

Die favorisierte "Lösung" ist damit klar, auch wenn es nicht alle so offen aussprechen wie der französische Staatschef und nächste Ratspräsident Nicolas Sarkozy: Die Iren sollen noch einmal und dann "richtig" abstimmen. Zwar ist der Vertrag nach den Buchstaben seines Textes durch die Ablehnung in einem Mitgliedsland bereits erledigt; die logische Konsequenz, nämlich von Grund auf neu zu verhandeln, kommt für Rat und Kommission dennoch nicht in Frage. Darauf pochen vor allem Frankreich, Deutschland und Großbritannien, das mit der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages durch das Oberhaus einen Tag vor dem Krisengipfel Schützenhilfe leistete und den lauter werdenden Rufen nach einem Referendum auch im eigenen Land eine weitere Abfuhr erteilte.

Die Schamfrist über die Sommerpause soll dazu dienen, ein Paket aus Zuckerbrot und Peitsche zu schnüren, um den irischen Wählern die Zustimmung doch noch schmackhaft zu machen. Die Peitsche zeigte Sarkozy, nachdem die gröberen Werkzeuge wie die Drohung mit dem - rechtlich gar nicht möglichen - "Ausschluß" Irlands zu Gipfelbeginn vorerst wieder vom Tisch waren: Ohne Lissabon-Vertrag gebe es keine neue EU-Erweiterungsrunde, an der die irische Regierung besonders interessiert war.

Für den süßen Teil stehen diverse Optionen im Raum; am Rande des dem Krisengipfel vorangegangenen Außenministertreffens verlautete etwa, man wolle den Iren zusätzliche Protokolle und Erklärungen zur Absicherung nationaler Vorbehalte in der Steuer- und Verteidigungspolitik anbieten. Vom Brüsseler Gipfel sickerte der Plan durch, die geplante Verkleinerung der Kommission aufzugeben und den ständigen irischen EU-Kommissar zu "retten".

All dies ginge ohne Vertragsänderung und damit ohne neue Ratifzierungsrunde, ist aber eben deshalb als Rechtfertigung für die Annullierung und Wiederholung einer gültigen demokratischen Abstimmung denkbar dünn und könnte einer zweiten erfolgreichen Nein-Kampagne durchschlagende Munition liefern. Die "größte Versammlung von Schlawinern, die es weltweit gibt" (Spiegel) ist sichtbar ratlos: Lissabon war bereits der "Plan B" für die durchgefallene EU-Verfassung; scheitert die Ratifizierung durch Irland auch im zweiten Anlauf, ist man blank.

Hinter den Kulissen knirscht es denn auch hörbar im Gebälk: Die ursprüngliche Formulierung der Abschlußerklärung, die auf schnelle Ratifizierung durch alle noch ausstehenden Mitgliedstaaten außer Irland drang, mußte auf Protest des rechtsliberalen tschechischen Premiers Mirek Topolánek abgeschwächt werden, der derzeit "keine 100 Kronen" (etwa vier Euro) auf ein Gelingen der Ratifizierung in seinem Land wetten würde. Wie übrigens auch in Deutschland (JF 22/08) steht dort noch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts aus. In London muß der High Court über eine Klage des britischen Millionärs Stuart Wheeler entscheiden.

Mit der restlichen Agenda des Brüsseler Krisengipfels demonstrierten die EU-Gewaltigen gleichwohl unerschütterlichen Beharrungswillen. Auf Betreiben der scheidenden slowenischen Ratspräsidentschaft diskutierte man, freilich ohne Ergebnis, über die hohen Energie- und Lebensmittelpreise und über Wege zur Unterstützung von davon besonders betroffenen Wirtschaftszweigen und "einkommensschwachen Haushalten". Derlei Übungen hält man in Brüssel für "Handlungsfähigkeit" und nennt das "den Sorgen der Bürger Gehör schenken". Für Anhänger des Subsidiaritätsprinzips ist zentralistische EU-Sozialpolitik dagegen eine überflüssige Einmischung in nationale Belange - und frisches Wasser auf die Mühlen der EU-Skeptiker.

Das einzig konkrete Gipfel-Resultat war schließlich die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Kuba. Ein Schelm, wer da eine geheime Seelenverwandtschaft mit dem kommunistischen Regime in Havanna vermutet, das sich an Sturheit auch so leicht von niemandem übertreffen läßt.

Foto: Irischer Premier Brian Cowen: Wiederholung einer gültigen demokratischen Abstimmung?

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