© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

"Unser Kessel ist immer unter Druck!"
Interview: Florian Kohler, Chef der Büttenpapierfabrik Gmund, über die Situation eines Mittelständlers in Zeiten der Globalisierung
Wolfhard H. A. Schmid

Herr Kohler, die Büttenpapierfabrik Gmund wurde 1829 gegründet und gehört damit zu den ältesten Papierfabriken in Deutschland. Für Sie eine Verpflichtung  oder schmückendes Beiwerk?

Kohler: Dies ist für uns Ansporn und eine positive Bürde. Wir zählen natürlich nicht zu den Größten. Aber die großen Konzerne können sich nicht alles kaufen, wie Tradition oder Geschichte.

Ihre beiden Papiermaschinen sind zwar gut gewartet, aber weniger als zwei Meter breit. Neue Papiermaschinen für Publikationspapiere arbeiten mit Bahnbreiten von über zehn Metern und Geschwindigkeiten von 100 Kilometern. Macht Ihnen dies keine Sorge für die Zukunft?

Kohler: Nein! Vielmehr macht uns die Konzentration auf dem Papiermarkt Sorge. Trotzdem gibt es bei richtiger Strategie nach wie vor Chancen für hochwertige individuellere und teurere Papierqualitäten, die weniger austauschbar sind.

Sie leben also in der handwerklichen Kultur historischer Papiermühlen?

Kohler: Wir produzieren Feinstpapiere, die für besondere Verpackungen, Einladungen, Geschäftsberichte und vieles mehr eingesetzt werden. So gehören Veuve Clicquot, Hennessy, aber auch Tiffany oder Adidas zu unseren Kunden. Darüber hinaus entwickeln wir verschiedenste Eigenkollektionen.

Durch Ihre hohe Spezialisierung erzielen Sie mit Ihrem im Vergleich zu anderen Papierherstellern geringem Umsatz gute Erlöse. Können Sie Zahlen nennen?

Kohler: Wenn man davon ausgeht, daß in der Papierindustrie gegenüber anderen Industriebranchen für den gleichen Umsatz nur ein Viertel der Belegschaft erforderlich ist, sind wir mit 100 Mitarbeitern ein kleiner global player. Bitte haben Sie Verständnis, daß ich keine Umsatzzahlen nennen möchte. Aber wir arbeiten stets profitabel und haben ein kontinuierliches Wachstum mit einem Exportanteil von 75 Prozent. Unser Ziel ist es, den auf 80 Prozent zu erhöhen.

Wie funktioniert ein solches globales Vertriebsnetz bei Ihnen als Mittelständler?

Kohler: Durch einen kleinen schlagkräftigen Außendienst von acht Leuten, der mit Fachkompetenz den Papiergroßhandel betreut. Doch auch in unserem Bereich steigt die Zahl der Wettbewerber. Somit ist es wichtig, daß wir ebenfalls die Agenturen, Druckereien und Entscheider in der Industrie direkt besuchen und unsere Kollektion präsentieren. Ein weiteres Projekt ist unser Einzelhandelskonzept. Wir haben unseren ersten Laden in einer der besten Lagen Münchens, beim Hotel Bayerischer Hof, eröffnet, wo für ein anspruchsvolles Publikum unsere Kollektion angeboten wird. Weitere Läden folgen in Hamburg, Tokio und New York.

Wohin liefern Sie noch?

Kohler: In Lateinamerika liefern wir nach Chile, in Indien haben wir inzwischen ein kleines Büro. Nach Japan liefern wir schon seit vielen Jahren, nach China nur sporadisch.

Gibt es dort keine Sorge vor einem Know-how-Diebstahl, wie man dies von anderen Mittelständlern immer wieder hört?

Kohler: In China gibt es schon Kopien unseres Sortiments, aber qualitativ schlechter, und wie wir gehört haben, sind die chinesischen Produkte mit einem unangenehmen chemischen Geruch behaftet, der die Kunden naturgemäß sehr stört. Rußland ist für uns ein qualitätsbewußter großer Markt geworden, inzwischen etwa so groß wie die USA, aber wesentlich entscheidungsfreudiger als die Amerikaner.

Die Papierproduktion ist energieintensiv. Wegen der enorm gestiegenen Energiepreise sind dies zwischen 15 und 30 Prozent der Produktionskosten. Viele Firmen haben deshalb Ertragsprobleme. Sie auch?

Kohler: Obwohl wir durch unsere Wasserkraft und eine Kraft/Wärme-gekoppelte Energiewandlungsanlage etwa 70 Prozent unseres Elektrobedarfes selbst erzeugen, sind unsere Stromkosten um 35 Prozent gestiegen. Wir setzen stark auf erneuerbare Energien. Erst in diesen Tagen haben wir unsere neue Photovoltaik-Anlage in Betrieb genommen.

Man erlebt oft, daß Traditionsfirmen wegen ihres Erfolges in der Vergangenheit versäumen, die Weichen für notwendige Innovationen und Anpassungen zu stellen, und diese dann nur unter größten Anstrengungen nachgeholt werden können.

Kohler: Dieses Problem haben wir nie gehabt, weil wir schon immer fortwährende Anpassungen - sei es strategisch oder im Investitionsbereich - durchgeführt haben, nach dem Motto: "Unser Kessel ist immer unter Druck!"

Wie beeinflußt die aktuelle Politik Ihre Arbeit als globaler Mittelständler?

Kohler: Ich kann immer wieder beobachten, daß unsere Politiker behaupten, sie vermindern die Bürokratie. Jedoch das Gegenteil ist der Fall! Ein Beispiel dazu: Seit diesem Jahr haben wir die Auflage, die Reach-Richtline der EU zu erfüllen. Sie dient zur Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien. Ein wichtiges Instrument, jedoch wegen des 100seitigen Nachschlagewerkes zur Registrierung ein riesiger zusätzlicher Personalaufwand. Andererseits lassen die EU-Kartellbehörden der EU im Grunde alles zu. Großkonzerne wissen, wie man die Auflagen legal umgeht.

Wie sehen Sie Ihre eigene und die Zukunft des deutschen Mittelstandes?

Kohler: Wenn Politik und Gewerkschaften nicht überziehen, bestehen auch in Zukunft gute Chancen für den Mittelstand. Der Mindestlohn ist aber eine falsche Entscheidung. Er fördert nur die Auslagerung der Arbeit in Billiglohnländer oder den Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen. Bei uns ist der Mindestlohn allerdings kein Thema, weil unsere Mitarbeiter über diesen Beträgen entlohnt werden. Dennoch ist für die unteren Lohngruppen eine Steuerentlastung dringend notwendig.

Mit einem Anteil von über 60 Prozent am Bruttosozialprodukt ist die mittelständische Wirtschaft der bedeutendste Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Wegen ihrer heterogenen Struktur ist sie in der Öffentlichkeit aber nur unterrepräsentiert.

Kohler: Bei einem Bundeskanzler und jetzt einer Kanzlerin, bei denen nur Großunternehmen Gehör finden, ist dies ein großer Nachteil. Selbst die Industrie- und Handelskammern schaffen es nicht, die Interessen des Mittelstandes zu vertreten, sondern konzentrieren sich ebenfalls auf die Großunternehmen.

Welche Vor- und Nachteile sehen Sie für Ihr Unternehmen durch die Entwicklung in der Bundes- und Europapolitik?

Kohler: Vom Steuersenkungsgesetz profitieren nur die Kapitalgesellschaften. Wir sind eine Personengesellschaft und zahlen heute mehr Steuern als zuvor. Dazu kommt der Nachteil, daß die Gewerbesteuer nicht mehr absetzbar ist. Die EU-Erweiterung bietet uns weder Vor- noch Nachteile. Wir haben schon immer in Länder wie Bulgarien geliefert.

Der Nobelpreis für Chemie ging letztes Jahr an die Deutschen Gerhard Ertl, der für Physik an Peter Grünberg. Beide haben sie das weltweit angesehene deutsche Universitätsdiplom gemacht. Die EU hat hingegen durch den "Bologna-Prozeß" das US-Bildungssystem mit Bachelor und Master adaptiert. Wie sehen Sie diese Problematik für Ihr Unternehmen in Hinblick auf Ihren akademischen Nachwuchs?

Kohler: Die europaweite Vereinheitlichung des Bildungssystems sehe ich nur als eine Modesache, ähnlich wie die Zertifizierungseuphorie der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Teile der Wirtschaft klagen über Fachkräftemangel - Sie auch?

Kohler: Da wir in erster Linie selbst ausbilden, ist dies für uns kein großes Problem. Jedoch stellt sich die Frage, wie es uns in Zukunft gelingen wird, Fachkräfte anzulocken.

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen