© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Inkompetenz
Karl Heinzen

Die Fassungslosigkeit nach dem Nein der Iren zum Lissabon-Vertrag wird nicht von Dauer sein. Rückschläge vergleichbarer Art waren in der Vergangenheit schließlich immer wieder hinzunehmen, so daß sich eine gewisse Routine eingestellt hat, mit ihnen fertigzuwerden und die ins Auge gefaßten Ziele unbeirrt weiterzuverfolgen.

So konnten die Dänen mit ihren Querschüssen die Einführung des Euro letztlich nicht torpedieren. Die Gemeinschaftswährung ist unterdessen längst etabliert, und die Querulanten von einst stehen immer noch im Abseits. Das Votum der Franzosen und Niederländer hat vor drei Jahren zwar das Projekt einer Europäischen Verfassung begraben. Man behalf sich, indem man auf alle antiquierte Theatralik verzichtete und ganz pragmatisch all das, was die sogenannte "Verfassung" an Fortschritten bieten sollte, in einen schlichten "Reformvertrag" neu verpackte und diesen vor der Inkompetenz und Launenhaftigkeit der Bürger so weit wie möglich zu schützen trachtete.

Tatsächlich ist es in 26 der 27 Mitgliedsstaaten gelungen, die Ratifizierung in Angriff zu nehmen, ohne dafür ein Referendum anzuberaumen. Die Bürger nahmen dies mit einer erstaunlichen und zuversichtlich stimmenden Apathie hin. Nicht einmal in Frankreich oder den Niederlanden als den Totengräbern der Verfassung oder im ob seiner vermeintlichen Europaskepsis verschrienen Großbritannien regte sich nennenswerter Protest. Allein in Irland erzwang es die Rücksichtnahme auf die Eigentümlichkeiten des dortigen Demokratieverständnisses, eine Volksabstimmung zuzulassen.

Diese Kulanz darf nun aber nicht zu dem Fehlschluß verleiten, das dubiose Nein auf gerade einmal 862.145 Stimmzetteln könnte ein Projekt zu Fall bringen, das nahezu 500 Millionen Europäern dient. Völlig zu Recht bezeichnet der altgediente sozialdemokratische Europaparlamentarier Klaus Hänsch es daher als einen "Konstruktionsfehler", die Bürger eines einzelnen Landes über Verträge abstimmen zu lassen, die die Zukunft der Menschen in anderen Staaten prägen. Jedes Volk sollte vielmehr nur über sein eigenes Schicksal entscheiden dürfen.

Was Hänsch moniert, gilt allerdings nicht nur für Referenden. Auch die tradierte Ratifizierung von europäischen Verträgen durch nationale Parlamente ist längst überholt. Zur Vollendung der europäischen Integration reicht es nicht aus, bloß die Bürger auf Distanz von politischen Entscheidungsprozessen zu halten. Man muß auch jene, die sie in ihrem jeweiligen Land zu ihren Repräsentanten küren, entmachten.

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