© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

Den Kopf als Fußball benutzt
Kriminalität: Opfer der Münchner U-Bahn-Schläger sagt vor Gericht aus / Staatsanwaltschaft fordert für die Angeklagten zwölf und neun Jahre Gefängnis
Hinrich Rohbohm

Er ist schon wieder zu Scherzen aufgelegt. Vor dem Münchner Landgericht sieht man Bruno N. nicht ohne weiteres an, daß er mit viel Glück dem Tode entronnen war. Der 76 Jahre alte Pensionär ist in der vergangenen Woche bei seiner Zeugenaussage gegen die Angeklagten Serkan A. und Spyridon L. klar verständlich und voll bei Sinnen.

Selbstverständlich ist das nicht. Denn die Beschuldigten hatten den ehemaligen Schulleiter am 20. Dezember vorigen Jahres auf dem Münchner U-Bahnhof Arabellapark brutal zusammengeschlagen und -getreten.  "Ich habe einen unbestechlichen Zeugen, und das ist die Überwachungskamera", sagt Bruno N. dem Richter. Das aufgezeichnete Video wird während der Gerichtsverhandlung gezeigt. Schonungslos veranschaulicht es noch einmal die ganze Brutalität der  Tat: die Szene, in der Spyridon L. "meinen Kopf als Fußball mißhandelte", wie das Opfer aussagt.

Gewalttaten, die bei Bruno N. nachwirken - auch wenn man es ihm nicht ansieht. "Wenn ich aufstehe, ist mir jetzt immer schwindlig. Schreiben und Lesen kann ich nicht mehr so intensiv wie früher", schildert der Geschädigte seinen heutigen Gesundheitszustand. Richtige "Löcher" habe er nach den Tritten im Kopf gehabt, das Blut sei ihm in die Augen geströmt. Lebensgefährlich sei für ihn aber vor allem der erste Schlag von Serkan A. gewesen. Er habe ein Hämatom unterhalb des linken Ohrs verursacht. "Wenn das angefangen hätte zu bluten, wäre ich heute ein Krüppel oder tot", gibt das Opfer wieder, was ihm damals erst die Ärzte verdeutlicht hatten.

Bereits vor der Tat kommt es zwischen Bruno N. und seinen Peinigern zum Streit. "Ich kam von der Weihnachtsfeier meiner alten Schule", erinnert sich N., der eigentlich von allen immer nur "Hubert" genannt wird. In der U-Bahn beobachtet er, wie sich der damals 17 Jahre alte Grieche Spyridon L. und der 20jährige Serkan A. "in ihre Sitze lümmelten". Die Täter fangen an zu rauchen, "paffen" in die Richtung des im Ruhestand befindlichen Pädagogen. "In der U-Bahn wird nicht geraucht", macht Bruno N. die Angeklagten auf das Verbot aufmerksam. Die Täter reagieren aggressiv. Schimpfwörter wie "Deutsches Arschloch" und "Scheiß-Deutscher" fallen, das Opfer wird bespuckt. Später setzt sich N. von den Beschuldigten weg. Als er an der Station Arabellapark aussteigt, ist er nur noch 200 Meter von seiner Wohnung entfernt. Er sollte sie nicht mehr erreichen.

Serkan A. streckt den 76jährigen mit einem kräftigen Schlag nieder und verpaßt ihm anschließend einen Fußtritt in die Seite. Dann prügelt Spyridon L. mit den Fäusten auf N. ein. Achtmal setzt er dem Rentner zu, trifft ihn an Kopf und Rumpf. "Meine Beine waren taub, ich konnte nur noch meinen Oberkörper halbwegs aufrichten", erklärt N. dem Richter.

Dann  läuft der Grieche an - "wie bei einem Elfmeter", sagt der Zeuge - und tritt das Opfer in die Bewußtlosigkeit. "Das war mir so gar nicht klar, ich war der Meinung, nur einmal kurz ins Koma gefallen zu sein", wundert sich N. noch heute.

Nach seiner Aussage wollen die Angeklagten etwas sagen. Beide erklären, daß ihnen die Tat leid täte. "Ich habe es gehört", entgegnet N. kühl. Leider seien solche Äußerungen heutzutage zu einer leeren Floskel verkommen, verkündet er dem Gericht. "Wenn sie es wirklich ernst meinen, dann sollen sie mir meinen Fotoapparat und mein Notizbuch wiedergeben", fordert der Geschädigte. In seinem Notizbuch hatte N. unter anderem seine Bankkontodaten notiert. Beides - Digitalkamera und Notizbuch - war nach dem Überfall aus dem von den Angeklagten entwendeten Rucksack des Opfers verschwunden. Serkan A. und Spyridon L.  beteuern vor Gericht, sie wüßten nicht, wo die Sachen seien. Sie selbst hätten nichts aus dem Rucksack herausgenommen und ihn später einfach über einen Zaun geworfen.

Doch ein Zeuge widerspricht. Muhammad H., ein Bekannter von Serkan A., wurde einen Tag nach der Tat von dem 21jährigen Türken angerufen. A. habe ihm mitgeteilt, daß er im Rucksack des Opfers eine Digitalkamera gefunden habe.

Und noch ein weiterer Zeuge belastet die Angeklagten. Tobias F., ein Zivildienstleistender aus Göttingen, war vor der Tat mehrere Stunden mit den Angeklagten zusammen gewesen und ebenfalls geschlagen worden. "Willst du hören, wie ich einen Deutschen umbringe?" hatte Serkan A. über das Mobiltelefon von F. seinen Bekannten Muhammad H. gefragt - um unmittelbar darauf dem Zeugen einen Tritt gegen die Brust zu versetzen. F. ist sich sicher: Die Beschuldigten machten zu diesem Zeitpunkt keinen angetrunkenen Eindruck. Eine als Gutachterin am Prozeß teilnehmende Rechtsmedizinerin bestätigt: Die Beschuldigten seien bei der Tat nicht volltrunken gewesen.

Die Mutter von Spyridon L. stellt sich im Prozeß erwartungsgemäß hinter ihren Sohn. Er sei vielmehr Opfer als Täter, erklärt sie. Das Jugendamt habe ihrer Familie nicht geholfen, klagt sie an und wirft der Behörde vor, psychische Probleme ihres Sohnes ignoriert zu haben.

Seit dem 23. Juni müssen sich die Angeklagten vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts München wegen versuchten Mordes verantworten. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile für  Serkan A. zwölf  Jahre, für Spyridon L. neun Jahre Haft gefordert. Mit einem Urteil in dem spektakulären Fall wird für die kommende Woche gerechnet.

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