© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

"Die demokratischen Regeln ignoriert"
Italien: Im Mittelpunkt der Regierungsarbeit steht die Finanz- und Sicherheitspolitik / EU-Kommission kritisierte Ausländergesetze / Streit um Justizreform eskaliert
Paola Bernardi

Erst seit zwei Monaten ist die neue Regierung von Silvio Berlusconi im Amt. Doch die italienischen Konsumenten sind bereits zuversichtlicher geworden - zumindest im Norden des Landes sowie in Mittelitalien, wie kürzlich das Wirtschaftsforschungsinstitut ISAE ermittelte. Die Querelen der Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi scheinen vergessen. Ausgestattet mit einem klaren Wählervotum für fünf Jahre und einer kompetenten Regierungsmannschaft - allen voran dem erfahrenen Finanz- und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti - wurden dringend notwendige Reformen angepackt. Im Mittelpunkt steht dabei die Finanz- und Sicherheitspolitik (JF 18/08).

Industrieminister Claudio Scajola verkündete die Rückkehr zur Kernkraft, die 1987 ad acta gelegt worden war. Noch in dieser Legislaturperiode soll der Grundstein zum Bau neuer Kernkraftwerke gelegt werden, "die in großem Umfang, sicher wettbewerbsfähig und umweltverträglich produzieren können", so der Minister. Erstmals hat die Regierung ihren Haushaltsplan bereits vor den Sommerferien vorgelegt. Tremontis Steuerpaket unter dem Namen "Robin-Tax" sieht vor, die Körperschaftssteuer für Ölförderer, Raffinerien und Tankstellenketten von 27 auf 33 Prozent zu erhöhen. Auch Banken und Versicherungen werden mit neuen steuerlichen Regeln zur Kasse gebeten. Gleichzeitig ist geplant, die steuerlichen Begünstigungen von Aktienoptionen für Manager abzuschaffen. Die damit erwirtschafteten Mittel sollen in den sozialen Wohnungsbau fließen. Zudem sollen 1,2 Millionen Bedürftige Guthabenkarten für den Einkauf von (stark verteuerten) Produkten des täglichen Bedarfs erhalten.

Abgeschafft wurden bereits die unpopulären Steuern auf Eigenheime und Überstunden. Zur Etatsanierung plant Tremonti vielfältige Einschnitte bei den Ausgaben und im öffentlichen Dienst. Prodi hatte den Regierungsapparat aufgebläht, um die Personalwünsche aller Kleinparteien seiner Koalition zu befriedigen. Verwaltungsminister Renato Brunetta will das Leistungsprinzip einführen, um so "Fannulloni" (Faulpelze) oder solche, die eine Krankheit vortäuschen, leichter entlassen zu können. Auf der Internetseite seines Hauses (www.innovazionepa.gov.it) können die Italiener nun Gehälter und Fehltage der 1.100 Ministerialbediensteten einsehen.

Die eingeleitete Innen- und Justizreform birgt hingegen immensen Sprengstoff in sich. So wurde Innenminister Roberto Maroni (Lega Nord) durch die EU-Kommission gerügt, als er schärfere Einreisekontrollen - insbesondere für Bürger aus dem EU-Land Rumänien - verlangte. Die Gesetzesverschärfungen gegen illegale oder kriminelle Ausländer erregten europaweit Aufsehen (JF 26/08). Der italienische Interessenverband der Richter (ANM) läuft gegen Vorschläge zur Änderung der Strafprozeßordnung Sturm. Die Regierung will damit der Behandlung von Mafia-, Terror- und besonders schweren Gewaltdelikten Priorität geben. Denn durch Prozeßstau von bis zu zehn Jahren werden immer häufiger Mafiosi oder Gewaltverbrecher entlassen.

Doch die Richter und die Opposition argwöhnen, daß diese Reform einzig dazu dienen soll, ein mögliches Korruptionsverfahren gegen Berlusconi und dessen früheren Wirtschaftsanwalt David Mills um mindestens ein Jahr hinauszuschieben. Der Regierungschef wiederum sieht in diesem Streit "einen Anschlag auf die Demokratie", der das Wahlergebnis umkehren soll. Berlusconi warnte vor "umstürzlerischen Richtern", die ihn aus rein politischen Gründen verfolgten.

Schon 1994 wurde ihm in seiner ersten Regierungszeit auf einem internationalen Gipfel vor laufender Kamera ein Haftbefehl überreicht. Erst nach Jahren wurde Berlusconi freigesprochen. Schon seit den siebziger Jahren ist die italienische Justiz nicht mehr politisch neutral. Staatsanwälte treten als mächtige Figuren im öffentlichen Leben auf. Verhaftungen von Verdächtigen aus heiterem Himmel werfen die Frage nach den Machtbefugnissen der Justiz auf.

Die in sich zerrissene Mitte-Links-Opposition unter dem Postkommunisten Walter Veltroni wittert hierbei ihre Chance. "Wir wollen fünf Millionen Unterschriften sammeln, um gegen eine Regierung zu protestieren, die die demokratischen Regeln ignoriert", erklärte Veltroni. Er kündigte schon jetzt für den Herbst eine Großkundgebung gegen die Regierung Berlusconi an. "Veltroni ist ein gescheiterter Verwalter, der als Bürgermeister in Rom Schulden von 6,9 Milliarden Euro hinterlassen hat. Er sollte sich von der Politik verabschieden", kommentierte Berlusconi die Ankündigung. Das anfangs konstruktive Klima zwischen Regierung und Opposition hat sich damit schlagartig verändert. Die Bürgerbewegung "Girotondi" und kleinere Linksparteien starteten schon in dieser Woche mit ihren Protesten gegen die vermeintliche "Lex Berlusconi".

Eher Politfolklore ist der aussichtslose Vorstoß des italienischen Ex-Staatspräsidenten Francesco Cossiga, der im Senat seinen dritten Antrag zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes für Südtirol eingebracht hat. Der 79jährige Senator auf Lebenszeit ist bekannt für seine politischen Provokationen. Denn die Autonomie ist nicht nur kompetenzmäßig, sondern auch finanziell so gut ausgestattet, daß so manche italienische Provinz neidvoll auf "Alto Adige" blickt.

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