© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

Nicht ohne deutsche Atomkraft
Energiekrise: Angesichts unaufhaltsam steigender Öl- und Gaspreise holt nun die Realität die Umweltpolitik ein
Bernd-Thomas Ramb

Schon das sinnleere Wort "Atomausstieg" signalisiert eine gestörte Wahrnehmung der Realität, denn im Klartext ist der Verzicht auf Atomkraftwerke zur Stromerzeugung gemeint. Ökophantasten verschiedener Couleur wollen die AKW-Option total aufgeben und "alternativ" auf "regenerierbare" Energien wie Solar- und Windkraft zurückgreifen. Wo dies zu wettbewerbsfähigen Produktionskosten möglich ist, werden und wurden solche Alternativen etwa bei Wasserkraftwerken stets genutzt. Nur reicht das eben nicht; beziehungsweise die Energiekosten steigen so hoch, daß Strom für die breite Masse unbezahlbar wird. So einfach ist dieses Problem zu definieren.

Die politische Wirklichkeit ist allerdings komplizierter. Zwischen den Stufen "darum wissen", "sich offen dazu bekennen" und "entsprechend politisch handeln" klaffen Untiefen. Das Zauberwort "Alternative Energie" hat eine verhängnisvolle Holdseligkeit der politischen Korrektheit entwickelt, die  durch das gezielt gepflegte Trauma der Tschernobyl-Katastrophe verstärkt wurde: der Explosion eines vernachlässigten sowjetischen Atomkraftwerks in einem fünf Jahre später untergegangenen kommunistischen Staat, der sich aber unverdrossen als Vorreiter überlegener sozialistischer Wissenschaft und Technologie propagierte. Inzwischen haben immer mehr EU-Länder dem Zeitgeist der Anti-Atomkraftbewegung abgeschworen. Briten, Finnen, Italiener und Schweizer planen und bauen neue AKWs. Frankreich, mit Deutschland als Hauptstromkunden, hat seine Atomenergie nie zur Disposition gestellt.

Ausgerechnet auf dem Deutschen Katholikentag hat die Bundeskanzlerin erstmals offen kritisiert, daß "ausgerechnet das Land mit den sichersten Atomkraftwerken die friedliche Nutzung der Atomenergie einstellt". Angela Merkels Hinweis, "Deutschland macht sich lächerlich", wenn es einerseits auf Atomkraft verzichte, andererseits Strom importiere, der im Ausland auf diese Weise erzeugt wurde, fand sogar den Beifall des eher rot-grün orientierten Publikums.

Dies positive Wählertestergebnis hat die Programmkommission der CDU sicher bestärkt, die Renaissance der Kernenergie in Deutschland zum essentiellen Programmpunkt der Partei zu erheben (JF 28/08). CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla nutzt dabei geschickt den dialektischen Kraftakt der Kanzlerin, Atomkraft als Beitrag zum Klimaschutz (weniger CO2-Ausstoß) zu sehen, um den politischen Gegner auszuhebeln.

Mit dieser politisch hochbrisanten Verknüpfung war der Aufschrei der ökologischen Fundamentalisten gewiß. Das öffentliche Munkeln Pofallas, immer mehr Grünen-Politiker sähen inzwischen den Irrtum des Atomkraftverzichts ein, vergrößert die allgemeine Verwirrung.

Atomkraft ist nun umweltfreundlich? Das aber galt objektiv gesehen schon immer: Atomkraft ist sicher und sauber. Die einzige ernstlich diskutierbare Schwierigkeit ist die Endlagerung der verbrauchten Brennelemente. Da verursacht jedoch die militante Verhinderung der Transporte das größte Problem. Eine konsequente Bestrafung als terroristisches Vergehen könnte diesen Nachteil schnell beseitigen.

Das Protestgeschrei der Grünen ist natürlich auch vor dem Hintergrund möglicher schwarz-grüner Koalitionen im Bund zu sehen. Während die Realo-Fraktion angesichts des SPD-Umfragetiefs mit dieser Option - auch unter Preisgabe urgrüner Atomängste - liebäugelt, fürchten die "Fundis" den endgültigen Gesichtsverlust ihrer Partei. Berührungsängste mit dem Thema Atomkraft beherrschen auch die SPD, die einst unter Willy Brandt und Helmut Schmidt fleißig AKWs errichten ließ. Während Umweltminister Sigmar Gabriel auf seiner Forderung beharrt, langfristig alle deutschen AKWs abzuschalten, bleibt Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bei seiner Einschätzung, daß die Atomkraft weiterhin eine Stromerzeugungsoption bleiben muß.

Die atomare Zerreißprobe der SPD kann der Union parteitaktisch nur gefallen, für sie ist die atomare Umweltschutzkarte ein perfektes Thema. Sie kann zum einen mit ihrem Pragmatismus prahlen, ökologische und wirtschaftliche Widersprüche auflösen zu können - unbeachtet der Kritik, warum sie erst jetzt zu dieser Einsicht gelangte.

Zum anderen bietet sich die Wiedereinstiegspolitik als Lackmustest für die Verläßlichkeit potentieller Koalitionspartner an - ob das wieder die 2009 geschrumpfte SPD, die möglicherweise gerupften Grünen oder eine hinreichend erstarkte FDP ist. Die Kombinationsmöglichkeiten haben sich für Merkel erweitert - und die Zukunftsaussichten für eine bezahlbare deutsche Energieversorgung verbessert.

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