© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

Pankraz,
A. Eckert und der Kampf um die Akten

Alle Geduld hat einmal ein Ende. Seit fünf Jahren warten viele Freunde der Geschichtsschreibung auf den Beginn einer seriösen öffentlichen Diskussion über Astrid Eckerts Buch "Kampf um die Akten", erschienen seinerzeit im Stuttgarter Verlag Franz Steiner. Aber nichts passierte, obwohl damals unter Historikern die Überzeugung vorherrschte, daß Eckert ein für die Zunft geradezu existentielles Thema aufgegriffen hatte, und der Deutsche Historikertag 2004 ihr - an sich recht harmloses und pc-untertäniges  - Buch mit einer schönen Auszeichnung bedachte.

"Kampf um die Akten" - damit waren jene (deutschen und alliierten) von Staats wegen verfertigten und archivierten Akten gemeint, die den Zweiten Weltkrieg und die mit ihm verbundene Geheimpolitik der beteiligten Regierungen und Bündnisse betrafen. Solcherlei Akten  werden in der Regel spätestens fünfzig Jahre nach Kriegsende für die Forschung freigegeben, denn ohne sie kann man die historische Wahrheit nicht rekonstruieren. Im Falle der Weltkrieg II- Akten gilt das Freigabeprinzip aber nicht, ganz im Gegenteil, es wird um immer neue Sekretierungsfristen "gekämpft".

Wichtigste Bestände beider Seiten, die sich in den Händen der Siegermächte befinden, bleiben weiter für die Öffentlichkeit, speziell auch für die Forschung, gesperrt, und niemand kann sagen, ob und wann sich das je ändern wird. In Deutschland hat sich die Regierung Adenauer, wie Eckerts Buch präzise erinnert, viele Male um die endliche Freigabe entscheidender, das Geschichtsbild prägender Aktenstrecken eingesetzt - vergeblich. Nicht nur die Sowjets, auch die Westmächte zeigten sich vollkommen harthörig. Kein Abkommen konnte mit ihnen darüber geschlossen werden, kein Appell an Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit hatte auch nur die geringste Wirkung.

Man übertreibt nicht, wenn man von einem Skandal spricht, der zum Himmel schreit. Er nährt den Verdacht, daß es beim "Kampf um die Akten" einzig darum geht, gewisse Geschichtslügen, die von den Siegern vor und nach 1945 gegen die Deutschen in die Welt gesetzt wurden, vor ihrer Dementierung mittels historischer Dokumente zu bewahren und eigene Verbrechen, dubiose Verabredungen und gnadenlose Mord- und Beraubungspläne der eigenen Seite zu kaschieren. Es ist nichts weiter als eine Fortsetzung des Krieges mit anderen, besonders verächtlichen Mitteln.

Nach der "Wende" und dem Zusammenbruch des Sowjetsystems 1989/90 flaute der "Kampf um die Akten" zeitweise merklich ab, denn er war von den beteiligten Kräften ganz ungeniert zu einem festen Bestandteil des Kalten Krieges gemacht worden. Mit der Androhung von Aktenfreigabe konnte man ja schwerste Erpressung des Gegners ins Werk setzen und eine Menge Pluspunkte für das eigene Lager sammeln. Das Spiel mit Akteneinsicht, Aktenschiebung, Aktenfälschung und auch völliger Aktenvernichtung hatte zum Kalten Krieg gehört wie das Amen zur Kirche.

Jetzt also, nach der Wende, hörte dieses obszöne Spiel fast auf. An seine Stelle trat im Osten, flächendeckend und die Völker tief bewegend, das Problem der Stasi- bzw. KGB-Akten. Sollte man sie total freigeben? Sollte man sie nur für Historiker freigeben? Sollte man sie vernichten? Auch da entspann sich ein regelrechter "Kampf um die Akten". Diese speziellen Akten berichteten zwar in erster Linie von Aktionen gegen das eigene Volk, aber sie bargen auch viele Dokumente mit internationaler Dimension.

Die erste russische Nachsowjetregierung, die Jelzin-Regierung, war bei der Aktenfreigabe ziemlich liberal, und so las man etwa staunend von jenem "Sonderarchiv Moskau", das riesige Bestände geraubter deutscher Militär- und Diplomatieakten hütete nebst Notierungen darüber, was man nach dem Krieg alles mit diesen Akten angestellt hatte und wo man sie sorgfältig "frisiert" hatte, um den Deutschen Kriegsverbrechen à la Katyn in die Schuhe zu schieben. Unter Putin ging die Freigabe-Liberalität wieder rapide zurück; der Kremlherr richtete sich ganz offenbar nach dem Vorbild der ehemaligen Westalliierten, deren einschlägige Liberalität sich unverändert gegen Null bewegt.

Prominentestes Beispiel sind die sogenannten Heß-Akten, deren  Veröffentlichung - fast siebzig Jahre nach ihrer Anlegung - von der britischen Regierung immer wieder verboten wird. So gedeihen Spekulationen der gegensätzlichsten Art. Statt zum Gegenstand historischer Wahrheitsfindung ist der Fall zum Objekt politischer Unterstellungen und polizeilicher Gewaltausübung geworden. Und dabei weiß jeder Forscher, daß die Freigabe ein wahres Schlüsselereignis im "Kampf um die Akten" wäre. Mit ihr würde sich wohl eines der unappetitlichsten und freiheitsfeindlichsten Phänomene der Nachkriegszeit endlich in Luft auflösen.

Konrad Adenauer hat seinerzeit die massenweise Beschlagnahme deutscher Akten durch die Alliierten als "durch und durch illegal" gekennzeichnet und unermüdlich die bedingungslose Rückgabe des Materials gefordert. Die heutigen Berliner Politiker wissen dagegen allem Anschein nach gar nicht mehr, daß Akten geraubt wurden und verbissen sekretiert werden. Und wenn sie es wissen, ist es ihnen vollkommen gleichgültig, ja unangenehm. Historische Akteneinsicht könnte ja ihr von vornherein feststehendes Weltbild belästigen.

Mehr als über die Politiker ärgert sich Pankraz freilich über das Gros der aktuell herumlaufenden deutschen Historiker. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmefiguren (Stefan Scheil, Günther Deschner) schweigen sie den Skandal einfach tot und erröten nicht einmal darüber. Sie wissen genau, wie verhängnisvoll die Dauersekretierung ist, doch alles, was sie dagegen tun, ist höchstenfalls eine abfällige kleine Bemerkung "unter vier Augen" in der Sauna.

Die Geduld mit ihnen läuft spürbar aus. Als der Historikertag das Buch von Eckert 2004 extra belobigte, dachte man, daß nun ein frischer Luftzug in die deutsche Geschichtsforschung einziehe. Es ist seitdem aber nur noch stickiger geworden. Dergleichen wird sich rächen.

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