© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

Vater der "Inneren Führung"
Die "Gedenkschrift" für den Bundeswehrgeneral Wolf Graf von Baudissin gerät zur Materialsammlung
Horst Rohde

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) hat mit der hier vorzustellenden "Gedenkschrift" für Wolf Graf von Baudissin eine zweite Veröffentlichung anläßlich des 100. Geburtstages eines der "Gründungsväter" der Bundeswehr präsentiert. Betraf die erste dieser Publikationen mit dem Grafen Kielmansegg (JF 13/07) noch einen General, der unzweifelhaft während der Gründungszeit der Bundeswehr eine echte Integrationsfigur darstellte, so hat auf der anderen Seite Baudissin die jungen Streitkräfte der zweiten deutschen Republik gespalten, wie es stärker kaum ging.

Nicht nur wegen der unzweifelhaften Bedeutung beider Persönlichkeiten für die jüngste deutsche Militärgeschichte, sondern auch aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit hätte man erwarten können, daß man ihnen aus dem genannten Anlaß eine in sich geschlossene und abgerundete ausführliche Biographie gewidmet hätte, wie sie Georg Meyer 2001 in exzellenter Form für einen weiteren Gründungsvater der Bundeswehr, nämlich Adolf Heusinger (JF 7/02), vorlegen konnte. Doch wie schon bei der "Gedenkschrift" für Kielmansegg ist es auch bei derjenigen für Baudissin bei einer allzu bescheidenen Sammlung von Einzelstudien geblieben. Doch ist die Studie über Kielmansegg immerhin noch von lediglich zwei Autoren verfaßt worden, welche die zu schildernde Persönlichkeit auch direkt und indirekt gekannt haben, so ist an der Aufsatzsammlung zu Baudissin die fast unglaubliche Zahl von 14 Autoren beteiligt gewesen, von denen offensichtlich die wenigsten den von ihnen zu charakterisierenden Menschen überhaupt direkt gekannt haben.

Natürlich ist die persönliche Bekanntschaft keine Voraussetzung für die Abfassung einer tragfähigen Biographie, die aber stattdessen über eine angemessene innere Geschlossenheit und ein nachvollziehbares Einfühlungsvermögen verfügen muß. Dies kann im Regelfall nur von jeweils einem Autor geleistet werden, nicht aber von einer Vielzahl von Mitarbeitern wie in der Lebensbeschreibung von Baudissin geschehen. Die dort zugrunde gelegte Konzeption hätte bestenfalls dazu dienen können, eine vielseitige Materialsammlung für eine künftige Biographie im oben genannten Sinn vorzubereiten und zugleich schon in ihren Einzelthemen den individuellen Gegensätzen, die für Baudissin besonders charakteristisch erscheinen, Rechnung zu tragen. Doch selbst diese Möglichkeit ist zu wenig genutzt worden: Die einzelnen Autoren und ihre Beiträge scheinen eher zufällig ausgewählt worden sein. Oder anders ausgedrückt: Die "Gedenkschrift" hätte zumindest eine gewisse Systematik aufweisen sollen, deren einzelne Abschnitte dann von Kennern der jeweiligen Materie bearbeitet worden wären.

Da dies aber weitgehend unterlassen worden ist, mangelt es überwiegend an klaren Strukturen und Abgrenzungen. Die jeweiligen Verfasser beschäftigten sich zudem oftmals mehr mit ihren eigenen Gedanken und Ideen als mit denen Baudissins. Die Folge davon sind unter anderem auch Überschneidungen, Wiederholungen oder Widersprüche. Am meisten käme noch der Beitrag von Jürgen Förster ("Wolf Graf von Baudissin in Akademia, Reichswehr und Wehrmacht") einer sinnvollen biographischen Skizze nahe, wäre da nicht sein sattsam bekannter "Kreuzzug" gegen die Wehrmacht, mit dem er auch hier wieder undifferenzierten und pauschalen Aburteilungen ("ideologische Fanatisierung der Wehrmacht zu einer nationalsozialistischen Volksarmee") freien Lauf lassen kann.

In diesem Zusammenhang fehlt auch - und das fällt besonders auf - jegliches Eingehen auf die Traditionsproblematik der Bundeswehr in der gesamten "Gedenkschrift", zumal Baudissin eine mit­entscheidende "Schaltstelle" in seiner Person und seinem Wirken gewesen ist. Aber vor der "politischen Korrektheit" läßt sich offensichtlich nur noch die alleinige "bundeswehreigene Tradition" erlauben, und deswegen spricht der Verteidigungsminister in seinem Vorwort auch von nichts anderem. Dabei ist gerade Baudissin auch ein besonders markantes Beispiel dafür, wie eine solche Verkürzung der historischen Wirklichkeit widerspricht, ja sie sogar in unglaublicher Weise verfälscht. Schade um eine erneut vertane Chance einer ausgewogenen Sichtweise!

Rudolf Schlaffer, Wolfgang Schmidt u.a.:  Wolf Graf von Baudissin. Modernisierer zwischen totalitärer Herrschaft und freiheitlicher Ordnung. Hrsg. im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. R. Oldenburg Verlag, München 2007, broschiert, 265 Seiten, 19,80 Euro

 

Dr. Horst Rohde, Oberstleutnant a.D., arbeitete als Militärhistoriker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MFGA) in Freiburg.

Foto: Wolf Graf von Baudissin (1907-1993): Die jungen Streitkräfte der Bundesrepublik gespalten, wie es stärker kaum ging

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