© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

Häßliche Spuren des Bewältigungs-Paradigmas
Verfolgt von "Veteranen und Apologeten des Dritten Reiches": Das Weltkriegs-Opus des MGFA als Heroengeschichte "freier Forschung"
Oliver Busch

Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen - militärgeschichtlich. Und statt des 8. Mai 1945 darf man in Zukunft auch ruhig mal des 6. Mai 2008 gedenken. Da präsentierte das Potsdamer Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) nämlich die letzten von dreizehn Bänden seines Monumentalwerkes "Das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg" der Presse. 12.260 engbedruckte Seiten im Lexikonformat, verfaßt von einer halben Kompanie Historiker, die dafür dreißig Jahre benötigte. Keine andere der zwischen 1939 und 1945 am größten Völkerringen "aller Zeiten" beteiligten Nationen vermag hier mit den Deutschen mitzuhalten und eine vergleichbare Leistung wissenschaftlicher "Aufarbeitung" vorzuweisen. Auch die Briten nicht, die, neben den US-Amerikanern, Weltmeister im Kriegführen sind und daher fast zwangsläufig als virtuose Kriegschronisten gelten. Daß ihnen die Deutschen nun wenigstens in Sachen "WK Zwo" den Rang abgelaufen haben, erkennen sie auf sehr britische Art an: das MGFA-Werk erscheint als Übersetzung in der Oxford University Press.

Doch im internationalen Vergleich leuchtet nur die Sonnenseite des Großprojekts. Höchst unfreiwillig offenbart hingegen der letzte Koordinator und Projektleiter, Rolf-Dieter Müller, in seiner Rückschau die häßlichen Spuren des "Bewältigungs"-Paradigmas, die sich in jedem Band nachweisen lassen (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 4/08). Dabei ist Müller, der selbst mit einer Geschichte des Zweiten Weltkrieges hervortrat, die dessen Ausbruch allen Ernstes auf Adolf Hitlers Todesängste zurückführte (JF 5/06), der so festen wie infantilen Überzeugung, seine Truppe und die "Teams" der Vorgänger hätten "im Schutze des Grundgesetzes", befreit von "ideologischen Fesseln", verwöhnt von "diskursiver Vielfalt und Pluralismus", ausschließlich "freie wissenschaftliche Arbeit" geleistet. Die Rolle der "Ideologen" reserviert Müller für die "anderen", die "vulgärmarxistische Faschismusdeutung" der auf "politische Propaganda" abonnierten Sowjet- und DDR-Historiographen sowieso, aber auch für die "unwissenschaftliche Tradition" des Reichsarchivs, dem er bizarrerweise unterstellt, über den Ersten Weltkrieg "in 19 Jahren nur 15 schmale Bände" produziert zu haben - die vierzehn Großoktav-Bände des offiziösen Weltkriegs-Werkes mit gut 10.000 Seiten sind ihm da wohl entgangen.

Und mit der unideologischen Forschungsfreiheit, so verrät er dann häppchenweise, war es zunächst in Freiburg unter Manfred Messerschmidt als "Leitender Historiker", ab 1993 in Potsdam unter Hans-Erich Volkmann, auch nicht weit her. Das ganze Ausmaß der Politisierung hält Müller freilich sorgsam unter der Decke. Den Grad der Verbohrtheit Messerschmidts, dem er eine "unangreifbare Position" attestiert - weil er von links nicht mehr zu überholen war? -, und dessen im Amt etablierter "roter Zelle" ahnt nur, wer aus Müllers Zitatenrisotto herausfischt, daß Konzeptionen kursierten, die zur Hochzeit des Nato-Doppelbeschlusses die Freiburger Mannschaft auf "Friedenssicherung und friedliche Konfliktregelung", auf einen Beitrag zur "Entspannungspolitik" der "friedliebenden Sowjetunion" verpflichten wollten, oder daß noch 1994 in der Zeit ein Messerschmidt-Pamphlet gegen die MFGA-Verlegung ins "preußische Potsdam" erschien.

Von den erbittert geführten internen Grabenkämpfen gibt Müller hingegen nur preis, was durch "Indiskretionen von einzelnen Mitarbeitern" ohnehin nach außen gedrungen ist. Der Name Joachim Hoffmanns fällt nicht, ebensowenig der Manfred Rauhs; nur von "juristischen Auseinandersetzungen" ist die Rede, in die etwa der Streit um den vierten Band, das "heikle Thema" des Feldzuges gegen die Sowjetunion 1941, mündete. Darüber sei das "Team 4" in eine "schwere Krise" geraten, ja "paralysiert" worden. Hartmut Schustereit habe "schlicht am Thema vorbeigeschrieben" und mußte seinen Beitrag dann eben "privat" publizieren. Immerhin führte Schustereit die peinlich engen Grenzen "diskursiver Vielfalt" und "demokratischer Wissenschaft" im MGFA drastisch vor Augen. Müller indes sieht hier und in anderen Fällen "abweichender" Positionen verschwörungsfixiert vornehmlich "Veteranen und Apologeten des Dritten Reiches" am Werk, unterstützt vom "äußersten rechten Rand der Gesellschaft", die die vom linksliberalen Establishment als "Märtyrer historischer Aufklärung" umjubelten Messerschmidt, Volkmann & Co. in schändlicher Weise als "amtliche Geschichtsfälscher", "linke Wehrkraftzersetzer" und "fünfte Kolonne Moskaus" angeschwärzt hätten.

Daß die Angegriffenen sich letztlich eben doch nie asketisch allein hehren Forscheridealen verschrieben, muß Müller spätestens konzedieren, wenn er den großen "Nutzen" des Weltkriegsopus für die "historisch-politische Bildung" auch außerhalb der Bundeswehr hervorkehrt. Ohne die Vorarbeit des MGFA hätte die "umstrittene Hamburger Wehrmachtausstellung" nie ihre "spektakuläre Resonanz" erzielt. Die MGFA-Deutung des Zweiten Weltkrieges habe auch "maßgeblichen Anteil" daran, daß es eine öffentliche Debatte über "problematische Vorbilder der Wehrmacht" gab, daß die "Namensgebung für Kasernen, Schiffe, Geschwader sowie die Ausstattung von 'Traditionsecken' überprüft und" - nota bene! - "neu geregelt" worden sei. Die "aufgezeigten Linien" seien inzwischen "Allgemeingut", was Müller als größten geschichtspolitischen Erfolg des Projekts verbucht.

Mit Auslieferung des zehnten (Doppel-)Bandes soll die Beschäftigung des MGFA mit dem Zweiten Weltkrieg nicht enden. Müller stellt Ergänzungsbände in Aussicht, um das vermeintlich von "ideologischen Belastungen" befreite "demokratische Geschichtsbild" weiter zu festigen. Dringlicher jedoch scheint eine auf MGFA-Akten gestützte Studie über die "Verblendungszusammenhänge" (Theodor W. Adorno), die solche "Geschichtsbilder" gebären.

Foto: Das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Potsdam: Offenkundige Verblendungszusammenhänge

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