© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Espresso und Brandsätze
Hamburg: Seit Jahren wird das zum Szenestadtteil avancierte Schanzenviertel von der "Roten Flora" geprägt
Torsten Uhrhammer

Wenn Linksradikale einen Afrikaner mit Pfefferspray angreifen, die Polizei daraufhin deren "Hauptquartier" stürmt und währenddessen auf der gegenüberliegenden Straßenseite freundlich-desinteressiert der nächste Espresso bestellt wird, dann erlebt man einen gar nicht so außergewöhnlichen Tag im Hamburger Schanzenviertel. Für die Berichterstattung in den Medien sorgt dabei immer wieder die Verwicklung des von Linksextremisten betriebenen "Kulturzentrums", die sogenannte "Rote Flora".

Als der Musical-Veranstalter Stella AG 1987 auf die Idee kam, in dem 1888 errichteten ehemaligen Flora-Theater künftig Musicals wie "Phantom der Oper" aufführen zu lassen, war es einigen der um ihre günstigen Mieten besorgten Anwohner ganz recht, daß sich Linksextremisten auch militant gegen die als drohende Kommerzialisierung des Viertels empfundene Veränderung zur Wehr setzten. Kurzerhand hatten die "Autonomen" das Haus 1989 besetzt, nachdem sie den Musical-Produzenten vorher durch diverse Anschläge zur Aufgabe gezwungen hatten.

Dieser errichtete daraufhin - nur ein paar Steinwürfe weiter - das Musicaltheater "Neue Flora". 2001 verkaufte der rot-grüne Senat die mittlerweile als "Rote Flora" bezeichnete Theaterruine an einen Investor, der versicherte, an der Nutzung des Gebäudes durch die "Autonomen" nichts ändern zu wollen.

Doch die Kommerzialisierung des Viertels konnten weder Anwohner noch Autonome verhindern. Im Gegenteil, heute ist es gerade die Rote Flora, die einen maßgeblichen Anteil zur touristischen Attraktivität des Schanzenviertels beiträgt. Sobald sich auch nur einzelne Sonnenstrahlen ihren Weg durch das gar nicht so typische Hamburger Schmuddelwetter bahnen, ist die neu gestaltete "Piazza" gegenüber der Roten Flora voll mit Studenten, Freiberuflern, Werbern und zunehmend auch Vorort-Klientel und Tagestouristen.

Die "Schanze" wurde aus einem Geheimtip zum In-Viertel und Ausgehviertel. Von der Amüsiermeile Reeperbahn unterscheidet sie sich durch den Mangel an Gelegenheit zum käuflichen Sex und eben durch die Rote Flora und deren morbide Aura. Von außen wirkt sie, als hätten Stadtteilplaner die perfekte Kulisse für die Menschen geschaffen, die "anders" ausgehen wollen. Die, die hier ihren Espresso oder Milchkaffee genießen oder sich ein neues Kleid kaufen, interessiert das politische Anliegen der "Rotfloristen" nicht im geringsten.

Ihnen geht es um die Atmosphäre: multikulturell und links-alternativ angehauchtes Flanieren und Konsumieren und dann und wann eine Show-Einlage mit Event-Charakter der "Autonomen". Die Gemeinkosten der im zwei bis drei Monatsrhythmus stattfindenden Demonstrationen samt brennender Müllcontainer und Großaufgebot an Wasserwerfern und Polizei finanzieren sie durch ihren steuerpflichtigen Konsum gerne mit, um weiterhin live und in der ersten Reihe bei Pasta oder Seezunge die Geschehnisse verfolgen zu können. So sind denn auch viele Inhaber der neu entstandenen Bars, Cafés und Modegeschäfte, trotz der Beschimpfung durch Rotfloristen als "Rassisten und Kapitalisten" nicht unbedingt für eine Räumung der Roten Flora, sichert sie ihnen doch eine geschäftsfördernde Atmosphäre. Zwar schimpfen sie im Gespräch gerne auf die "linken Idioten" und "Kinder-Antifa", die ihnen manchen Geschäftstag dadurch verdirbt, daß die Polizei das Viertel weiträumig absperrt, doch insgesamt sorgen diese "Ab-und-zu-Aktionen" natürlich für weitere Attraktivität und damit Umsatz.

Und auch die Vermieter freuen sich über exorbitante Renditesteigerungen. Wer heute in die "Schanze" ziehen will, muß sich auf Mieten wie im großbürgerlichen Stadtteil Eppendorf einstellen. Der CDU, in Sachen Räumung der Roten Flora seit jeher mau, kommen die Ausschreitungen als wiederkehrendes Wahlkampfthema entgegen, und der Innensenator kann immer mal wieder zeigen, daß schon bei kleinen Vorkommnissen hart durchgegriffen wird.

Doch es wäre zu kurz gegriffen, in der Roten Flora nur noch einen harmlosen Lieferanten für Gewinne und Wahlkampfmunition zu sehen. Das gewaltbereite linksextreme Spektrum in Hamburg besteht laut Verfassungsschutz aus etwa 500 Personen. Die Rote Flora ist ihr zentraler Anlaufpunkt. Unterschiedliche linke Gruppen nutzen sie für politische Treffen und subkulturelle (Musik-)Veranstaltungen. Von einem Autonomenplenum "selbstverwaltet", diente sie radikalen Globalisierungsgegnern im Vorlauf der Proteste gegen das Asia-Europe-Meeting und den G8-Gipfel als Zentrum für aktuelle Informationen, Gedankenaustausch und Schlafplatzvermittlung. Das Gebäude ist Ausgangs- und Zielort gewalttätiger Demonstrationen und gehörte zu den Objekten, die im Mai 2007 im Zusammenhang mit einem Verfahren der Generalbundesanwaltschaft wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung im Zusammenhang mit militanten Aktionen gegen den G8-Gipfel durchsucht wurden. Knapp 300 Personen lieferten sich infolge der Razzia heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei.

In der von der Roten Flora herausgegebenen Zeitschrift Zeck werden Bekennerschreiben zu linksextremistischen Anschlägen publiziert. Opfer solcher Anschläge sind sowohl Firmen als auch Einzelpersonen wie der Chefredakteur der Bild-Zeitung Kai Diekmann, dessen Auto angezündet wurde.

Auch das hier ansonsten gut funktionierende "multikulturelle Miteinander" hat seine Grenzen. Kurdische Imbißbetreiber drohen ihren Konkurrenten schon mal mit der PKK, und einer brach sich in der vergangenen Woche ein Handgelenk, als er seinen Standortnachbarn auch physisch davon überzeugen wollte, "wer hier der stärkere ist". Das Endspiel der Europameisterschaft nutzten einige Türken für provokante Pro-Spanien Bekundungen. Darauf angesprochen, wie denn ihr Verhalten zu ihren deutschen Ausweisen passe, entgegneten sie, "die brauchen wir nur, um visafrei durch Europa reisen zu können", den deutschen Paß könne man auch "im Klo herunterspülen".

Auch die jüngste Großrazzia der Polizei Anfang Juli hatte die Rote Flora einem Vorfall mit Migrationshintergrund zu verdanken. Ein Schwarzafrikaner hatte sich vor seiner der Flora gegenüberliegenden Wohnung mit seiner Freundin gestritten. Für die Rotfloristen kein frühmorgendlicher Beziehungsstreit nach durchzechter Nacht, sondern ein "sexistischer Angriff". Man entschloß sich einzugreifen und der Frau zur Hilfe zu eilen. Dabei beließen es die Rotfloristen aber nicht bei friedfertiger Streitschlichtung, sondern sprühten dem Schwarzafrikaner Pfefferspray ins Gesicht. Der Afrikaner verschwand im Haus, um kurz darauf angeblich mit zwei Messern bewaffnet wieder vor der Tür zu stehen. Von der mittlerweile eingetroffenden Polizei festgenommen, konnten er und weitere Zeugen den Beamten jedoch plausibel machen, daß er nicht Täter sondern Opfer sei. Als die Polizisten den tatverdächtigen Rotfloristen ergriffen, setzte dieser sich massiv zur Wehr und konnte durch seine linken Freunde, die mit Steinen und Flaschen warfen, "befreit" werden. Danach verbarrikadierten sie sich in der Flora, so daß die Polizei mit 370 Beamten den notwendigen Druck zur Durchsetzung des Rechtsstaates ausüben mußte.

Gegenüber auf der Piazza bestellte man derweil Espresso und portugiesisches Frühstück.

Foto: Der "Schwarze Block" demonstriert Anfang Juli gegen die Durchsuchung der "Roten Flora": Die perfekte Kulisse für Menschen, die "anders" ausgehen wollen

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