© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Herzschwache Tiger
Asien: Die in Europa und Nordamerika gefürchteten Schwellenländer schlittern trotz Rekordwachstum in die Krise
Albrecht Rothacher

Vor dem Gipfeltreffen des Verbandes Südostasiatischer Nationen (Asean) wurde es amtlich: China, selbst nur Dialogpartner der Asean-Staaten, lieferte 2007 mit 11,7 Prozent einen neuen Wachstumsrekord ab. Der Rest Ostasiens - ohne Japan - wuchs laut Asiatischer Entwicklungsbank um 8,7 Prozent. Doch das aus dem Raubbau an Umwelt und Menschen generierte Wachstum fordert seinen Preis: Lebensmittel, Wasser und Energien werden knapp. Ihre Teuerung zeitigt soziale und ökonomische Folgen, die den Gang der Globalisierung in Frage stellen.

Nach zwei Jahrzehnten harter Arbeit und opfervollen Sparens wollen immer mehr Asiaten das gute Leben, sprich ein eigenes Auto und besseres Essen. Der daraus resultierende Benzin- und Landschaftsverbrauch steigt rapide. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch stieg in China seit 1985 von 20 auf 50 Kilogramm. Schweine und Geflügel werden mit Unmengen von Mais und Soja gemästet. Doch die Schweinefleischpreise stiegen um 60 Prozent, die Lebensmittelpreise insgesamt um 30 Prozent. Asienweit haben sich die Reispreise verdoppelt. Durch Versteppung und Verbauung werden Wasser und Land immer knapper. Seit acht Jahren ist die Weltreisernte rückläufig. Die einstige Grüne Revolution, die Intensivierung des Reisanbaus, scheint ausgereizt. Die Preise werden weniger durch Börsenspekulanten, sondern mehr durch Ausfuhrverbote in Haupterzeugerländern wie Indien, China, Vietnam und Indonesien in die Höhe getrieben. Dazu verteuert der Biospritanbau die Futtermittel weltweit.

In China wurden im Juni die Preise für Diesel und Benzin um 18 Prozent erhöht. Doch mit 58 Cent pro Liter ist das immer noch spottbillig. In Indien ist das künstlich verbilligte Benzin - weil für die Raffinerien unrentabel - so knapp geworden, daß ein Schwarzmarkt blüht, der zu einem vielfachen Preis liefert. Nur in Vietnam stiegen die Spritpreise marktgerecht um 36 Prozent.

Von Energie- und Lebensmittelpreisen angetrieben steigen die Inflationsraten: In Sri Lanka und Vietnam auf 26 Prozent, in Indonesien auf 10,5 Prozent, in China auf 8,5 Prozent, in Thailand auf 8 Prozent und in Indien auf 7,5 Prozent. In Thailand, Indien, den Philippinen, China und Vietnam nehmen militante Arbeitskämpfe und wilde Lohnstreiks zu. In China stiegen deshalb sowie durch die Aufwertung des Yuan die (in Dollar berechneten) Löhne um 25 Prozent. Dazu haben sich die Kosten der Luft- und Seefrachtraten seit 2000 mit den Ölpreisen verfünffacht. Chinas Wettbewerbsfähigkeit als Werkbank der Welt bricht damit ein. Temporär mögen andere asiatische Billiglohnländer einspringen. Langfristig dürften lohnintensive Massenfertigungen wieder in die europäische Peripherie zurückverlagert werden. Gleichzeitig schmelzen die hohen Devisenreserven der Asiaten ab - in Richtung der Ölförderländer. Mit dem Nachfragerückgang in ihrem überschuldeten Hauptmarkt, den USA, wird der Export immer schwieriger.

Entsprechend purzelten die Börsenwerte: in Vietnam um 57 Prozent übers Jahr, in China um 48 Prozent seit Jahresbeginn, in Indien um 30 Prozent. Für Singapur bedeutet das Minus von 15 Prozent bei der Börsenkapitalisierung einen Verlust von 120 Milliarden Dollar. Das westliche Spekulationskapital, das am asiatischen Wirtschaftswunder naschen wollte, flüchtet scheu wie ein Reh. Der Versuch der Regierungen in Hanoi und Taipeh, Aktienpakete zur Kurspflege aufzukaufen, brachte bislang nichts. Für die asiatischen Mittelschichten, die - mangels staatlicher Renten und angesichts niedriger Zinsen - ihre Ersparnisse in Aktien anlegten, ist dies zusammen mit der Teuerung eine Katastrophe. Indien, Indonesien und die Philippinen fürchten Hungerkrawalle.

Diktaturen wie China und Vietnam ziehen bei Lohnstreiks die Daumenschrauben an, in den Demokratien wie Malaysia oder Thailand stehen die Regierungen vor ihrem Sturz. Die meisten versuchen mit Preis- und Exportkontrollen sowie Energiesubventionen ihre Haut zu retten, doch sie verzerren so die Marktsignale und verschlimmern die Probleme. Tatsächlich scheint im ressourcenfressenden Hyperwachstum der asiatischen Wirtschaften und ihrer Imitation der US-Lebensweise der Anfang vom Ende nunmehr angezeigt.

 

Dr. Albrecht Rothacher war bis 2006 Direktor an der Asien-Europa-Stiftung (Asef) in Singapur. 2007 erschien sein Buch "Mythos Asien? Licht- und Schattenseiten einer Region im Aufbruch" (Olzog Verlag, München).

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