© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Mit dem Vater im Gepäck
Serienkommissar und Serienmörder: Dem Schauspieler Götz George zum Siebzigsten
Harald Harzheim

Zweieinhalb Jahre vor Einführung des Privatfernsehens in Deutschland, genauer: am 28. Juni 1981 ab 20.15 Uhr, geriet die müde Fernsehnation in Aufruhr. Waren bundesdeutsche Serienkommissare bis dato zuverlässig mit gepflegter Kleidung und eiserner Disziplin ausgestattet, so schien sich plötzlich ein Neandertaler in diese Gesellschaft der Zivilisierten verirrt zu haben: Horst Schimanski, von zahlreichen Kritikern auch als "Schimpanski" tituliert. Der brach zehn Jahre lang in 29 "Tatort"-Folgen (einschließlich zweier Kinofilme) alle kommissarischen Tabus. Mit ihm hatte der stoische Aufklärer (von Kriminalfällen) endlich sein Monopol verloren.

Schimanski, das stämmige, leicht ungepflegte Affekttier mit hohem Sensibilitätsgrad, der emotional Involvierte, wurde zur Kultfigur. Die einen widmeten ihm Spielfilme und Songs, während andere sich mokierten, daß der Duisburger Kommissar - laut Dialogtext - auf seine "Dienstvorschriften scheißt". Umso schlimmer aus Sicht seiner Gegner, daß Darsteller Götz George sich mit seiner Rolle hochgradig identizifierte, wie er in Interviews wissen ließ.

Bis dahin war der Sohn des Schauspielerpaares Heinrich George und Berta Drews primär als Theaterschauspieler und im Film als Abenteuersoftie ("Der Schatz im Silbersee", 1962) oder als jugendlicher Partner von Romy Schneider ("Wenn der weiße Flieder wieder blüht", 1953) im öffentlichen Bewußtsein präsent.

Seinen Vornamen erhielt der am 23. Juli 1938 in Berlin geborene Götz Schulz nach Goethes Freiheitskämpfer Götz von Berlichingen, der Lieblingsrolle seines Vaters. Im Alter von acht Jahren bereits Halbwaise - Heinrich George starb 1946 nach einer Operation im sowjetischen Internierungslager Sachsenhausen - übernahm er den Künstler(nach)namen George, um 1950 auf der Bühne und später im Film sein Glück zu versuchen.

Aber nicht nur die Wahl des Künstlernamens, auch die spätere Rollenwahl verrät eine fortwährende Beschäftigung mit dem gigantischen Vater, den er so früh verlor. Heinrich George gehört buchstäblich zum lebenslangen Gepäck seines Sohnes. Als Götz George, der sich "ständig in seinen Vater hineinzuversetzen bemüht und ihn zuweilen zu kopieren versucht" (Werner Maser), in einem Interview gefragt wurde, ob es stimme, daß er immer ein Bild seines Vaters im Rollenbuch bei sich habe, bestätigte er das: "Ja, diese Sentimentalität erlaube ich mir. Es ist ein schöner Zeitungsartikel über ihn, den mir mal ein Kollege schenkte. Der begleitet mich überall hin."

Allein die Bodenständigkeit und Aggressivität, gepaart mit fast kindlicher Sensibilität, die Götz Georges Schimanski auszeichnet - wen erinnert diese Mischung nicht an zahlreiche Rollenschöpfungen seines Vaters? An den hilflosen wie brutalen Franz Biberkopf in "Berlin Alexanderplatz" (1931) beispielsweise, dessen traurige Augen das Publikum auch aus zahlreichen Charakteren des Sohnes anblicken sollten. Bewegt sich der Proletarier Biberkopf aber noch am Rand des gesellschaftlich Akzeptierten, überschreitet Götz Georges Fritz Haarmann in "Der Totmacher" (1995) jede Grenze. Haarmann, der berühmte homosexuelle Serienmörder im Hannover der 1920er Jahre, der über zwanzig junge Männer tötete, sie anschließend zerstückelte und dafür hingerichtet wurde.

Georges Darstellung des Nachkriegs-"Werwolfs" (Theodor Lessing) hatte nichts von der Dämonie seines Vorgängers Kurt Raab, der diesen Part bereits in "Die Zärtlichkeit der Wölfe" (1976) verkörpert hatte. Nein, Götz George spielt ihn mit mit einer solchen Naivität, daß selbst grausigste Geständnisse gegenüber dem Untersuchungsrichter die Aura der "Unschuld" nicht zerstören. Im Grunde ein zur "Bestie" mutierter Franz Biberkopf. Mochte er den historischen Haarmann damit verfehlt haben, das Mitgefühl des Publikums war seiner Kreation jedenfalls sicher.

Einen weiteren, noch weitaus schlimmeren Serienmörder zeigte er in Roland Suso Richters "Nichts als die Wahrheit" (1999), in dessem fiktionalen Plot sich der 90jährige KZ-Arzt Josef Mengele einem Berliner Gericht stellt. George spielte nicht nur die Hauptrolle, sondern investierte zudem als Co-Produzent eine Million Mark in das Projekt.

Wie beim "Totmacher" steht im Zentrum die Konfrontation des Gerichts mit dem Geheimnis eines Schlächters, seines nicht nachvollziehbaren Innenlebens. Götz Georges Mengele, ein müder, glatzköpfiger Greis, angelehnt an Marlon Brandos Colonel Kurtz in "Apokalypse Now" (1977), mit einer zombiehaften Maske, zeigt einen Typus, den der Philosoph Theodor Lessing bereits 1932 beschrieben hatte: "Nahezu alle Verbrechen des Zeitalters stellen die Psychologie nur darum vor 'Rätsel der Seele', weil nichts Seelisches im Spiel ist. Es sind Taten der ganz entleerten, rätselarmen Seele. Und wenn man nach Motiven forscht, so wird man am wenigsten fehlgehen, wenn man immer nur das eine Motiv unterstellt: Leerlaufender Geltungswille (...) Dieser leere Wille entfesselt Kriege, zündet Städte an, sprengt Eisenbahnzüge, organisiert mit bewunderungswürdigem Fleiß und unablenkbarer Zähigkeit Grauens- und Schreckenstaten in großem Stil, ohne daß andere Antriebe dahinter stünden als die Angst des leeren Willens vor seiner Leere." Verbrechen als Verdrängung von unerträglicher Leere. Als einziger deutscher Schauspieler der letzten Jahrzehnte hat Götz George den von ihm dargestellten Serienmördern eine abgründige Komplexität verliehen, die ohne jeden Abstrich neben der Schauspielkunst von Hollywoodgrößen wie Anthony Hopkins (der Hannibal Lecter in "Das Schweigen der Lämmer") bestehen kann.

Auch in Bezug auf den Vater Heinrich George ist "Nichts als die Wahrheit" bedeutsam. In Interviews verteidigt der Sohn dessen Zusammenarbeit mit dem NS-Staat, sein Mitwirken in Propagandafilmen wie "Hitlerjunge Quex" (1933), "Jud Süß" (1940) oder "Kolberg" (1945): Der Vater habe als größter Schauspieler seiner Zeit halt die damals angebotenen Rollen gespielt. Diese Argumentation wird in "Nichts als die Wahrheit" aber für unzureichend erklärt. Versucht Mengeles Verteidiger (Kai Wiesinger) darin doch vergeblich, das Verhalten seines Mandanten aus dem Zeitkontext zu verstehen. Vielleicht ist Götz Georges Interesse an diesem Film auch ein Indikator dafür, daß die Auseinandersetzung mit der väterlichen Erbschaft keineswegs zum Abschluß gekommen ist, daß sie noch weiter in ihm rotiert, auch wenn seine öffentlichen Äußerungen das Gegenteil nahelegen.

Übrigens beschränkt sich Georges Darstellung von Massenmördern keineswegs auf Haarmann und Mengele. Auch sein - an den KZ-Kommandanten Rudolf Höß angelehnter - Franz Lang ("Aus einem deutschen Leben", 1977) oder Henry Kupfer ("Der Sandmann", 1995) gehören dazu. Es ist nicht unwahrscheinlich, das Götz Georges Beiträge zu diesem Rollenfach noch erschüttern werden, wenn die "Tatort"-Folgen oder selbst so gelungene Komödien wie "Schtonk!" (1992) längst im Archiv verstaubt sind.

Foto: Götz George als Serienmörder Fritz Haarmann in dem preisgekrönten Film "Der Totmacher" (1995): Ungeheure körperliche Präsenz

Foto: George als Kommissar Schimanski und als Skandalreporter Willié in der Komödie "Schtonk!"

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