© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Heiligenverehrung
Politische Zeichenlehre LIII: Andreaskreuz
Karlheinz Weissmann

Zu den weniger spektakulären Stücken der Ausstellung über Karl den Kühnen in Bern (siehe Besprechung auf Seite 14 dieser Ausgabe) gehört eine Setztartsche, die mit dem "Burgunderkreuz" - einem aus Ästen zusammengefügten Schrägkreuz - bemalt wurde. Bemerkenswert ist das deshalb, weil solche großen Schutzschilde aus dem Spätmittelalter nur selten erhalten blieben. Das Astkreuz gibt es allerdings auch auf allen möglichen anderen Überresten des burgundischen Reiches, da es zu den bevorzugten Emblemen seiner Herzöge gehörte.

Das erklärt sich hinreichend aus der Tatsache, daß schon ein Vorgänger Karls, Johann ohne Furcht, den Heiligen Andreas zum Patron seines Hauses erkoren und dessen Zeichen übernommen hatte: ein X-förmiges Kreuz, an dem der Apostel das Martyrium erlitt. In den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Burgundern und Armagnacen während des 15. Jahrhunderts war die Partei Johanns an zwei weißen Tuchstreifen erkennbar, die man kreuzweise über den Oberkörper trug, so daß optisch der Eindruck des Andreaskreuzes entstand.

Nach dem Tod Karls des Kühnen kam der größte Teil der burgundischen Besitzungen mitsamt den Wappen an das Haus Habsburg. Das Andreaskreuz spielte dabei aber nur eine untergeordnete Rolle. Erst der spanische Zweig der Habsburger hat es seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts (rot auf weiß oder rot auf gelb) als Hoheitszeichen für Kriegsschiffe und Festungen verwendet. Diese Funktion behielt es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Danach spielte es nur noch eine Rolle in Regimentsflaggen und seit den 1930er Jahren als Hoheitszeichen der nationalspanischen Luftwaffe.

Die Verknüpfung mit der imperialen Überlieferung machte das Astkreuz außerdem zu einem bevorzugten Symbol der politischen Rechten Spaniens. Entsprechende Embleme führten die Karlisten schon bei ihrem ersten Aufstandsversuch (1834-1840), und auch während des Bürgerkrieges (1936-1939) traten sie mit dem Astkreuz auf und ließen ihre bewaffneten Verbände, die Requetés, entsprechend kennzeichnen.

Außerhalb Spaniens hat das Astkreuz sonst nur noch eine kurzzeitige Wiederbelebung in Belgien erfahren, das seinerseits auf eine burgundische Tradition zurückblicken konnte. Léon Degrelle (1906-1994), Führer der "Rexisten", einer faschistischen Bewegung der Zwischenkriegszeit, wollte an diese Vergangenheit anknüpfen und ein neues "Großburgund" schaffen, was allerdings erst relativ spät - in der Phase der Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht - dazu führte, daß er auch das Astkreuz in sein symbolisches Repertoire übernahm.

Das Astkreuz wurde 1942 für die von Degrelle aufgebaute Légion Wallonie, ein Verband der Waffen-SS aus belgischen Freiwilligen, und für die Jeunesse Légionnaire auf Fahnen und Abzeichen eingeführt; noch im Herbst 1944 ersetzte man sogar die Sig-Runen auf den Kragenspiegeln der Legion durch das Astkreuz.

Mit dieser Überlieferung haben die heute bekanntesten Verwendungen des Andreaskreuzes nichts zu tun. Gemeint ist zuerst das Andreaskreuz Schottlands, wo der Heilige besonders verehrt wurde, da man im frühen Mittelalter Teile seines Kreuzes hierher gebracht hatte. Nachdem die aus Schottland stammende Dynastie der Stuarts Anfang des 17. Jahrhunderts auch den englischen Thron bestieg, wurde das Andreaskreuz (weiß auf blau) mit dem Georgskreuz (rot auf weiß) in einer Vorform des Union Jacks kombiniert, die alle britischen Schiffe zu führen hatten.

Das Andreaskreuz verschwand aber nicht ganz, sondern blieb auch nach der Schaffung des "Vereinigten Königreichs" als Flaggenbild Schottlands erhalten; seit dem 19. Jahrhundert gehört es zu den Symbolen des schottischen Nationalismus, der auf größere Eigenständigkeit drängt; dementsprechend verwendet es heute die Scottish National Party genauso wie das separatistische Scottish Republican Socialist Movement als Emblem.

In seiner Neigung, die Abzeichen erfolgreicher Seemächte zu kopieren, übernahm Rußland 1712 das Andreaskreuz aus der britischen Flagge, kehrte allerdings (ähnlich wie beim Vorbild der niederländischen Farben für die Handelsflagge) die Farbfolge um. Rußland behielt das blaue Andreaskreuz auf weißem Grund als Marineflagge bis zum Ende der Monarchie und erneuerte es nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wieder. Das Andreaskreuz wird außerdem in Varianten von zahlreichen nationalistischen und konservativen politischen Gruppierungen Rußlands geführt (so von der Allrussischen Volksunion oder der Russischen Volkspartei).

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Abbildung: Setztartsche mit Burgunderkreuz: Selten erhalten

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