© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Sein Verbrechen war die Zeitzeugenschaft
Der Militärhistoriker Hermann Hagena rückt mit seiner quellengesättigten Replik auf ein MGFA-Gutachten über den Jagdflieger Werner Mölders das herabwürdigende Urteil wieder zurecht
Horst Boog

Hermann Hagena, Historiker, promovierter Völkerrechtler, ehemals stellvertretender Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr, Brigadegeneral a.D. und Jet-Pilot, der nicht nur vom grünen Tisch her urteilt, sondern auch aus praktischer Erfahrung, hat eine dankenswerte, sehr gründliche Analyse des Gutachtens zum Jagdflieger Werner Mölders (1913-1941) vorgelegt. Zweifellos hatte er, wie er auch selbst zugibt, mehr Zeit für seine Recherchen als der Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA), Oberstleutnant Wolfgang Schmidt, der 2004 mit einem Gutachten wegen geschichtspolitischer Unklarheiten beauftragt worden war. Auch deshalb ist Hagenas kritische Analyse des Gutachtens viel umfassender und glaubwürdiger. Unter Zeitdruck ist eben gründliche geschichtswissenschaftliche Arbeit nicht zu leisten.

Hagena geht es um die "Korrektur eines Zerrbildes" von Mölders, das zur "Entnamung" des nach diesem benannten Jagdgeschwaders 74 geführt hatte. Seine Kritik an dem dem Gutachten zugrunde liegenden Mölders-Bild faßt er in zwei ausführlichen Kapiteln zusammen; einmal in dem über die Legion Condor und den Spanischen Bürgerkrieg, wo Mölders in Kriegsverbrechen verstrickt gewesen sein soll, und dann unter dem Gesichtspunkt von dessen Einstellung zum NS-Regime, ob er also regimekritisch oder gar "widerständig" gewesen sei. Schließlich wird der Verlauf der "Affäre Mölders" im Rahmen der Problematik des Traditionsverständnisses der Bundeswehr sehr sachlich und chronologisch nachgezeichnet. Am Ende der einzelnen Abschnitte werden die Ergebnisse kurz und klar zusammengefaßt. Überhaupt ist die Sprache Hagenas unzweideutig. Vermutungen und Annahmen aus Mangel an Beweisen wie im Gutachten kommen kaum vor. Am Ende werden nach einem Literatur- und Namensverzeichnis noch die Richtlinien zum Traditionsverständnis der Bundeswehr von 1982 und das Mölders-Gutachten des MGFA vom 30. Juni 2004 abgedruckt, so daß man dessen Wortlaut immer mit den Kritikpunkten Hagenas vergleichen kann.

Entgegen Schmidts Bemühungen, durch eine Art "Kriminalisierung" der Tätigkeit der Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg auch Mölders als Angehörigen dieses Verbandes als von vornherein traditionsunwürdig hinzustellen, argumentiert Hagena unter Rückgriff auf Veröffentlichungen des Völkerbundes zum Bombenkrieg in Spanien, auf die Akten zur deutschen Auswärtigen Politik über Deutschland und den Spanischen Bürgerkrieg sowie zahlreiche andere Publikationen, die der Gutachter offensichtlich nicht herangezogen hat, folgendermaßen: Es gibt keinen Nachweis, daß Deutschland die Intervention in Spanien als Probelauf für den Zweiten Weltkrieg "bewußt gesucht" hätte. Generalstabschef Ludwig Beck habe damals sogar einen europäischen Krieg befürchtet, auf den man nicht vorbereitet war. Die Furcht vor einem bolschewistischen Spanien war auch in anderen Ländern Europas verbreitet und somit nicht nur Vorwand für das schließliche Eingreifen. Die Luftwaffe konzentrierte sich in Spanien auf die auch nach den damals allgemein anerkannten Luftkriegsregeln zulässige direkte und indirekte Heeresunterstützung im Operationsgebiet, wie auch amtliche ausländische Publikationen (zum Beispiel British Air Ministry: The Rise and Fall of the German Air Force, 1983) feststellen. Dabei konnten natürlich auch Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen werden. Für einen strategischen Bombenkrieg, geschweige denn bewußten Terrorkrieg, gibt es keinen Hinweis. Man stand letzterem damals in der Luftwaffe ablehnend gegenüber. Und um für den strategischen Bombenkrieg Erfahrungen zu sammeln, fehlte laut "Auswertestab Rügen" der Legion ohnehin die ausreichende Anzahl von Bombern.

Die Kritik des Gutachters Schmidt an der Feststellung des Rezensenten in der Mölders-Kurzbiographie für die Neue Deutsche Biographie (Band 17) von 1994, die Furcht vor dem Bolschewismus habe damals eine Rolle gespielt, entbehrt aufgrund der mageren Quellenlage einer Grundlage; und bei der Verurteilung mancher im Kampfgeschehen vorkommender Verletzungen humanitärer Grundsätze durch Bomben sollte man sich mit Vorsicht auf die sogenannte Martensche Klausel in der Präambel der Haager Landkriegsordnung von 1907 berufen, der zufolge neue Waffen, über deren Gebrauch es noch keine internationalen Abmachungen gebe, nur im Rahmen des herkömmlichen humanitären Völkerrechts angewendet werden sollen. Das hielten die Vertragschließenden nur für "zweckmäßig" und nicht für absolut bindend, denn keiner wollte sich die Vorteile einer neuen Waffe, wie es der Bomber war, von vornherein aus der Hand nehmen lassen. Die Engländer erkannten die Landkriegsordnung für den Luftkrieg erst 1958 teilweise an. Die Royal Air Force besaß auch 1988 noch kein Law of War Manual. Mit Guernica hatte Mölders nichts zu tun, was im Gutachten auch nicht behauptet wird. Er stieß erst ein Jahr später zur Legion Condor. Weil aber der Bombenangriff auf Ziele in der Stadt mit seinen gewiß bedauerlichen Folgen seit langem von interessierter Seite als geplanter Terrorangriff der Legion hingestellt und damit als abträglich für das Ansehen aller ihrer Angehörigen, also auch für Mölders angesehen wird, untersucht Hagena dieses Ereignis sehr genau.

Zunächst bekräftigt er noch einmal das auch aus ausländischer wissenschaftlicher Literatur hinlänglich Bekannte, nämlich daß es sich um einen Angriff auf eine Straßenbrücke am Rande des Ortes und eine Straßengabelung in einem Vorort gleich daneben im Rahmen der "interdiction" (Gefechtsfeldabschnürung) zur Blockierung der gegnerischen Rückzugsbewegung auf Bilbao handelte, was zulässig war, und weist dann zusätzlich zeichnerisch nach, daß die beiden Angriffsschneisen des insgesamt 22 Flugzeuge, meist Ju 52-Behelfsbomber umfassenden Verbandes sich über der Brücke kreuzten, womit die Angriffsabsicht klar sein dürfte. Also kein geplanter Flächenangriff. Der geringe Anteil von Brandbomben an der etwa dreißig Tonnen schweren Gesamtbombenmenge ist, was schon der in England lehrende Hans-Henning Abendroth vor etwa zwanzig Jahren nachgewiesen hat, kein Indikator für einen beabsichtigten Terrorangriff, denn diese sogenannte "Generalstabsmischung" wurde von der Legion auch gegen andere Ziele, wie zum Beispiel Brücken über größere Flüsse, angewandt.

Wie leicht bei den damaligen Zielgeräten eine Bombenladung fehlgehen konnte, zeigt Hagena mit einer Skizze des Angriffs auf eine Behelfsbrücke über den Ebro bei Ginestar, wo sie geschlossen in freies Feld fiel. Hätte sich dort eine Ortschaft befunden, hätte die gegnerische Propaganda daraus sicher einen geplanten Terrorangriff gemacht. Es wird ferner darauf hingewiesen, daß General Franco im Hinblick auf die Zeit nach der Auseinandersetzung mit den Roten kein Interesse hatte, spanische Städte mit Vorbedacht zerstören zu lassen, was damals auch im Oberkommando der Wehrmacht so gesehen wurde. Im Zusammenhang mit Guernica sei an eine Feststellung in den Memoiren des Befehlshabers des britischen Bomber Command, Arthur T. Harris erinnert, der schrieb, die Briten hätten zur Blockierung des deutschen Vormarschs in Frankreich 1940 und des deutschen Rückzuges dort 1944 immer die Häuser, vornehmlich an Straßenkreuzungen, in den Städten bombardiert wegen der anfallenden Trümmer. Anders sei dies aus der Luft nicht möglich. Man denke auch an die Zerstörung der Städte Jülich, Düren, und Heinsberg am 16. November 1944 im Rahmen der taktischen Luftunterstützung der vorrückenden alliierten Bodentruppen; dies nicht zur "Rechtfertigung" Guernicas, sondern um für eine realistische Betrachtungsweise deutlich zu machen, was damals kriegsvölkerrechtlich, wenn auch nur im Rahmen der manchmal schwer zu beurteilenden militärischen Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit, möglich war (hierzu H.M. Hanke: Luftkrieg und Zivilbevölkerung, Frankfurt/Main 1991).

An den Kämpfen im Ebro-Bogen und bei Corbera 1938 war Mölders als Jagdflieger beteiligt. Hagena weist mit Recht darauf hin, daß die Hauptaufgabe von Jägern der Kampf um die Luftüberlegenheit gegen feindliche Jäger und der Schutz der Bomber war und ist, und nicht die Beschießung von Zivilisten, wie manchmal insinuiert wird. Zu den Kämpfen selbst zieht er zusätzlich zu den bereits oben genannten Akten auch solche des spanischen Kriegsministeriums und Publikationen ehemaliger Angehöriger der Gegenseite hinzu. Es finden sich dort keinerlei Hinweise, daß die Legion Condor in der Ebro-Schlacht gezielt die Zivilbevölkerung angegriffen hätte, wie im Gutachten und in den ARD-"Kontraste"-Sendungen im Fernsehen behauptet wurde. Vielmehr konzentrierten sich die Bomber auf zulässige Ziele wie Brücken, Hafenanlagen und Bahnhöfe.

Als abwegig weist Hagena die im Gutachten aufgestellte Behauptung zurück, wegen der Ununterscheidbarkeit von Soldaten und Zivilisten und der großen Verluste sei die Ebro-Schlacht das Verdun des Spanischen Bürgerkrieges gewesen. Schon von den Dimensionen her hinke dieser Vergleich. Außerdem sei die Gegend dort immer schon dünn besiedelt gewesen, und während in den Städten wie Madrid oder Barcelona die Milizen von der Kleidung her kaum von Zivilisten getrennt werden konnten, traten die Republikaner am Ebro in geschlossenen uniformierten Verbänden auf. Die Stadt Corbera, die öfter den Besitzer wechselte, sei vor allem durch Artilleriefeuer und nicht durch Bomben zerstört worden. Ortsbeschießungen bei militärischer Notwendigkeit waren im übrigen, wie erwähnt, im Kampfgebiet durchaus zulässig. Völliger Unsinn sei Schmidts Behauptung, im Spanischen Bürgerkrieg seinen 21 Millionen Tonnen Bomben abgeworfen worden. Tatsächlich wären dies achtmal mehr, als im Zweiten Weltkrieg in Europa fielen. Daß hier etwas nicht stimmen konnte, hätte dem Gutachter auffallen müssen. Ebenso unsinnig ist die Feststellung im Gutachten, die deutschen Flugzeugführer hätten "weitgehend ohne Hemmungen" ihre Einsatzaufgaben erfüllt und "den Tod von Zivilisten billigend in Kauf genommen". Auch darüber gebe es keinerlei Hinweise in den Berichten der Völkerbundskommission.

Zu dem zweiten großen Abschnitt zur Frage der "Widerständigkeit" gegen das NS-Regime stellt Hagena zutreffend fest, Schmidt sei alles glaubhaft, was Mölders belasten könnte, dagegen erfunden, phantastisch, absurd, hochspekulativ oder im Sinne der eigenen Hypothesen umgedeutet, was ihn entlastet. Manchmal werde im Gutachten nur "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" argumentiert. Katholiken seien aufgrund ihres Glaubens und ihrer Moralvorstellungen nur zu bereit gewesen, für Hitler-Deutschland ihr Leben einzusetzen. Dies gelte nicht zuletzt für den Bund Neudeutschland (vom Gutachter fälschlich als "Neues Deutschland" bezeichnet), dem Mölders einmal angehörte. Diesem Bund gehörten allerdings auch Widerständler des 20. Juli 1944 wie Pater Alfred Delp und Helmuth James Graf von Moltke an. Frühzeitig, so Hagena, erkannte man dort den antichristlichen Charakter des Nationalsozialismus, wenn auch nicht sogleich das Ausmaß der daraus folgenden Verbrechen. Nationales Denken, wie es im Bund verbreitet war, bedeutete nicht auch nationalsozialistisches Denken. Außerdem sei der Bund 1939 als "staatsfeindlich" aufgelöst worden. Der Kontakt Mölders zu dem Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen, der sich 1941 mutig von der Kanzel gegen die Euthanasie und die zunehmende Rechtlosigkeit in Deutschland wandte, wird von Schmidt schon dadurch abgewertet, daß er diesen als "dem völkischen Denken verhaftet" beschreibt. Überhaupt wird der Kontakt in Frage gestellt. Hagena weist nun unter anderem durch das Tagebuch des Sekretärs des Bischofs und andere Belege nach, daß es diese Verbindung tatsächlich gab und daß Mölders Hitler bei der Verleihung der damals höchsten deutschen Tapferkeitsauszeichnung gebeten habe, von Galen "in Ruhe zu lassen", was nachweislich auch geschah.

Der vom britischen Geheimdienst 1942 erfundene falsche Mölders-Brief an einen fiktiven Geistlichen sei nicht, wie der Gutachter meint, verfaßt worden, um "die katholischen Soldaten im opferbereiten Kampf ums Vaterland" zu ermutigen (das wäre ja geradezu kontraproduktiv zur englischen Absicht), sondern in Kenntnis der tiefen Religiosität des inzwischen toten Fliegerobersten sollte in der deutschen Bevölkerung das Mißtrauen gegen Gestapo, SS und NS-Regime geschürt, der christliche Glaube gestärkt und die Kriegsbereitschaft geschwächt werden. Als Beleg für eine NS-Konformität läßt sich, so das überzeugende Urteil Hagenas, dieser Brief nicht interpretieren.

Glaubhaft kann Hagena mit Hilfe des Centre Historique des Archives Nationales auch das Eintreten von Mölders bei Göring für die Schonung eines Franzosen machen, der den Jagdflieger bei der Gefangennahme im Westfeldzug malträtiert hatte. Zu einem weiteren die Person Mölders "bemäkelnden" Vorwurf des Gutachters, er sei eitel gewesen und habe sich in den Dienst der NS-Kriegspropaganda gestellt, steht die gängige Praxis aller Staaten im Umgang mit ihren "Kriegshelden" entgegen. Zudem dürfte der Stolz eines jungen Offiziers auf seine Erfolge kein Alleinstellungsmerkmal von Mölders gewesen sein. Es ist in diesem Zusammenhang erstaunlich, daß die vielen positiven Äußerungen ehemaliger Fliegerkameraden über den Menschen Mölders wie etwa die des späteren Generals und Luftwaffeninspekteurs Günther Rall in dem Gutachten keine Erwähnung finden. Eigenartig auch das Bemühen des Gutachters, Fritz von Forell, der mehrmals im und nach dem Krieg - wenn auch mit einigen Änderungen - die Feder zugunsten von Mölders ergriffen hat, als "extrem nationalistisch" hinzustellen, obwohl dieser 1936 den NS-Lehrerbund verlassen hatte, nach dem 20. Juli verhaftet und in ein Straflager für Offiziere eingewiesen worden war. Um dies zu erfahren, hätte er nur bei dessen Tochter nachfragen müssen. Im übrigen muß nicht auch für Mölders gelten, was damals hinsichtlich der positiven Einstellung von Forells zum Nationalsozialismus zugetroffen haben mag. Schließlich beseitigt Hagena noch anhand von Originalschreiben und späterer Kontaktaufnahme mit einer überlebenden Angehörigen die Zweifel des Gutachters an der Hilfe Mölders' für einen jüdischen Schulfreund und dessen Familie.

Hier darf der Rezensent noch in eigener Sache erwähnen, daß auch das Infragestellen seiner in der erwähnten Mölders-Kurzbiographie gemachten Äußerungen durch den Gutachter, Mölders habe sich im Jahre 1941 vorausschauend für eine generelle Verstärkung der deutschen Jagdfliegerkräfte zusammen mit dem Generalstabschef der Luftwaffe Hans Jeschonnek, dem Generalluftzeugmeister Ernst Udet und anderen eingesetzt und wäre aufgrund seiner ethischen Anschauungen möglicherweise in Konflikt mit dem NS-Regime geraten, hätte er länger gelebt, auf mangelnder Recherche beruht. Hätte Schmidt das von ihm benutzte Buch des Rezensenten über die Luftwaffenführung gründlicher gelesen, dann hätte er daraus entnehmen können, daß im Spätsommer/Herbst jenes Jahres die Denkschrift des Flugzeugindustriellen Friedrich Wilhelm Siebel vom Oktober 1940 zum zweiten Mal im Luftwaffengeneralstab diskutiert und dann Hitler vorgelegt wurde, der die darin erhobene Forderung nach Vermehrung der Jagdkräfte angesichts der zu erwartenden gewaltigen amerikanischen Bomberkräfte, vor denen inzwischen auch der Militärattaché in den USA Friedrich von Boetticher warnte, jedoch ablehnte, weil er schon den Sieg in der Tasche zu haben glaubte.

Daß ein Inspekteur der Jagdflieger - aller Jagdflieger -, der Mölders inzwischen war, sich mit der Gesamtsituation seiner Waffe befassen mußte, ist einleuchtend, wenn auch nicht für den Gutachter, der meint, ihm sei es nur um die Jagdkräfte in Rußland gegangen, wo er im Süden den Jagdfliegereinsatz beim Durchbruch zur Krim leitete.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich, das von Hagena klar und übersichtlich geschilderte Bemühen der Bundeswehr um ein glaubhaftes Traditionsverständnis im Zusammenhang mit der zeitgeistigen Kampagne um die Aberkennung der Traditionswürdigkeit des Oberst Werner Mölders zu kommentieren. Die Darlegung liest sich spannend wie ein Kriminalroman. Am Ende scheint doch erfreulicherweise die Möglichkeit einer Neubewertung seines Falles auch im Verteidigungsministerium auf. Man fragt sich jedoch, wie bei diesem Hin und Her ein echtes Gefühl für Tradition durch Beispiele in der Truppe entstehen soll, das der Israeli Martin van Creveld in seinem Buch über "Kampfkraft" (1996) früher bei den Deutschen so schätzte und das stärker ist als der natürlich auch nötige, aber etwas hühnerbrüstige bloße "Verfassungspatriotismus".

Hagena ist jedenfalls zuzustimmen, wenn er schreibt: "Mölders war ein tapferer, pflicht- und verantwortungsbewußter Offizier, der bereit war, für sein Vaterland zu kämpfen und sich dafür zu opfern, aber sicherlich nicht für den Nationalsozialismus und den 'Führer' persönlich. Wenn seine Haltung - und die vieler seiner Kameraden - von den Nationalsozialisten mißbraucht oder 'instrumentalisiert' wurde, so macht ihn das nicht zum 'NS-konformen Soldaten'." Ob der Mölders-Gutachter dem von einer rot-grünen Politik seit Jahren vorliegenden Beschluß gefolgt ist oder seinem politisch-korrekten erkenntnisleitenden Interesse, ist letztlich egal, weil sich beides entspricht. Ob bei feststehendem, politisch-ideologisch motiviertem Beschluß zur "Entnamung" nach Jahren noch eine, wenn auch angeblich nicht intendierte, so doch faktische, im Ausland mit ungläubigem Staunen verfolgte Herabwürdigung der Person Mölders nötig war, muß bezweifelt werden.

Jedenfalls hat Hagena mit seiner kritischen Analyse des Mölders-Gutachtens hervorragende Aufklärungsarbeit geleistet und die Dinge vom Kopf wieder auf die Füße gestellt. Sein Buch ist nicht zuletzt den zeitgeistigen Traditionsideologen in Politik, Bundeswehr und Medien zu empfehlen, damit sie wieder zu vernünftigen und realistischen Beurteilungsmaßstäben gelangen. Das "wissenschaftliche" Mölders-Gutachten ist dem international guten wissenschaftlichen Ruf des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes sicher nicht förderlich gewesen.

 

Dr. Horst Boog, ehemaliger leitender wissenschaftlicher Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg, ist Herausgeber der Bände "Luftkriegführung im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich" (1992) und Verfasser des Beitrages zum Luftkrieg im Schlußband 10 der MGFA-Reihe über den Zweiten Weltkrieg. Für die NDB (Neue Deutsche Biographie) verantwortete er den Beitrag zu Werner Mölders.

Hermann Hagena: Jagdflieger Mölders. Die Würde des Menschen reicht über den Tod hinaus. Mölders-Gutachten des MGFA vom 30.6.04. Helios Verlag, Aachen 2008, gebunden, 230 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

Fotos: Werner Mölders mit Ritterkreuz (links) und an der Kanzel eines Messerschmidt-Jägers: Ein Gutachten hatte alles als glaubhaft eingeschätzt, was Mölders belasten könnte

Abbildung: Staffel-Abzeichen vor "Entnamung"

Abbildung: Jagdflugzeug Messerschmidt Me 109: Mäkelnde Vorwürfe

 

Stichwort: Tradition um Werner Mölders

Jagdflieger Oberst Werner Mölders (geboren 1913 in Gelsenkirchen) erreichte als erstes "Fliegeras" die Zahl der Luftsiege Manfred Freiherr von Richthofens aus dem Ersten Weltkrieg. Mit 28 Jahren wurde Mölders für besondere Tapferkeit mit den Brillanten zum Ritterkreuz ausgezeichnet. Am 22. November 1941 stürzte er als Passagier einer He 11 über dem Flugplatz Breslau-Schöngarten ab. Von der Bundeswehr Jahrzehnte über geehrt, wurde er 2005 durch den damaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) verbannt: Das Jagdgeschwader 74 durfte von nun an nicht mehr seinen Namen tragen. Die Schließung einer Kaserne bzw. die Außerdienststellung eines Zerstörers der Marine kamen einer Namens­umbenennung zuvor.

Foto: Mölders im Kreise von Kameraden: Hitler bei der Verleihung des Ritterkreuzes gebeten, Bischof von Galen "in Ruhe zu lassen"

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