© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Nationalökonomen gegen die Tyrannei
Der "Freiburger Kreis", der wichtige Grundlagen für die spätere Soziale Marktwirtschaft schuf, und seine Rolle am 20. Juli 1944
Klaus Peter Krause

Vergessen oder zu wenig gewürdigt wird, daß auch namhafte Nationalökonomen dem NS-Regime Widerstand geleistet haben. Jedenfalls spielen sie bei dem alljährlichen offiziellen Gedenken an das Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 eine untergeordnete Rolle. Daher wissen nur wenige, daß es neben den mutigen Offizieren der deutschen Wehrmacht auch Wirtschaftswissenschaftler im Widerstand gegen die NS-Herrschaft gegeben hat. Mehrere von ihnen waren Mitwisser oder aktiv Beteiligte an den Plänen zur Ausschaltung Hitlers.

Damals in den 1930er und 1940er Jahren hatten sich in Freiburg Regimegegner aus akademischen und kirchlichen Kreisen zusammengefunden. Für den Widerstand und vor allem bei den Planungen einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für ein Deutschland nach dem Krieg haben sie eine wichtige Rolle gespielt. Später in der Literatur über den Widerstand sind sie als "Freiburger Kreise" zu einem Begriff geworden und dort fest verankert. Diese Kreise waren das "Freiburger Konzil", der "Bonhoeffer-Kreis" und die "Arbeitsgemeinschaft Erwin von Beckerath". Besondere Bedeutung gewannen hier die Freiburger Wirtschaftswissenschaftler um Constantin von Dietze, Walter Eucken und Adolf Lampe. Sie wirkten aktiv am Widerstand gegen die NS-Diktatur mit und entwickelten für die Wirtschafts- und Sozialpolitik einer Nachkriegsordnung das gedankliche Gerüst. Auch Juristen, Historiker und Christen beider Kirchen gehörten dazu.

Im Konzilkreis traf man sich seit Dezember 1938 monatlich. Den Anstoß dazu hatte das Entsetzen über die Pogrom-Nacht der Nazis gegen die Juden vom 9. November 1938 gegeben. Die Treffen fanden bis zu den Verhaftungen führender Mitglieder des Kreises im Oktober 1944 statt. Sie begannen mit einem Vortrag, und dieser gab den Auftakt und die Grundlage für die nachfolgende offene Aussprache. Teilnehmer waren neben Dietze, Lampe und Eucken unter anderem Gerhard Ritter, Clemens Bauer, Friedrich Delekat, Otto Dibelius, Helmut Thielicke, Friedrich Justus Perels, Otto Hof, Erik Wolf und Ernst Wolf. Der Jurist Franz Böhm stieß ebenfalls dazu. Diskutiert wurde über Themen wie Recht und Pflicht zum Widerstand, Tyrannentötung, staatlicher Allmachtsanspruch, Führerkult, Rassismus, Mißbrauch politischer Gewalt.

Böhm hatte die Begegnung mit Carl Friedrich Goerdeler im Frühsommer 1938 gesucht und war mit ihm in unregelmäßiger Verbindung geblieben. Von etwa November 1942 an trafen sie sich regelmäßig, und zwar an jedem letzten Samstag eines Monats in Goerdelers Leipziger Wohnung, zum Gedankenaustausch mit anderen NS-Gegnern. Böhm war badischer Staatsanwalt gewesen, hatte sich vor dem Krieg in Freiburg habilitiert und hoffte auf eine Professur. Zum 1. April 1936 bekam er als Privatdozent für das Sommersemester eine Lehrstuhlvertretung in Jena, die sich dann aber doch verlängerte. Dem machte ein schwerer öffentlicher Zusammenstoß mit einem SS-Hauptsturmführer wegen der Judenverfolgung ein Ende. Böhm wurde mit einem Dienststrafverfahren überzogen. Das führte im März 1938 zum Entzug der Vertretung und auch der Lehrbefugnis. Nur knapp entging er einem Antrag, ihn ins Konzentrationslager zu schaffen. Bei der Staatsanwaltschaft Eisenach, wohin er ausgewichen war, wurde er in den Wartestand versetzt. Damit hatte er kein Einkommen mehr. Einen Ruf als Professor nach Freiburg erhielt Böhm unmittelbar vor dem Ende des Krieges im April 1945.

Im Oktober 1942 entstand in Freiburg der "Bonhoeffer-Kreis". Den Anstoß dazu hatte Dietrich Bonhoeffer selbst gegeben. Dieser Kreis sollte eine politische Programmschrift für die Bekennende Kirche entwickeln, um auf eine Nachkriegsordnung Einfluß zu nehmen. Zur Diskussion des Entwurfs lud der Kreis auch Goerdeler ein. Die Schrift trug, als sie Anfang 1943 abgeschlossen war, den Titel "Politische Gemeinschaftsordnung: ein Versuch zur Selbstbesinnung des christlichen Gewissens in den politischen Nöten unserer Zeit". Inhaltlich ging es um Innen- und Außenpolitik, Werteordnung, Gewissensfreiheit, Dienst am Nächsten, Widerstandsrecht, rechtsstaatliche Verfassung sowie das Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und dem einzelnen Menschen. Zu dieser Schrift lieferten Dietze, Eucken und Lampe auch einen Beitrag über die Wirtschafts- und Sozialordnung. In ihm formulierten sie bereits die Leitlinien, die später zur Grundlage für die Soziale Marktwirtschaft geworden sind.

Nach dem Attentat vom 20. Juli ist die Schrift ihren Verfassern zum Verhängnis geworden. Die Gestapo fand Teile von ihr, entdeckte, daß die Verfasser mit Goerdeler und Bonhoeffer in Verbindung standen. Sie wurden verhaftet, verhört, gefoltert. Zu den Verhafteten gehörten auch Bauer, Perels und Ritter. Perels wurde zum Tode verurteilt, weil er ihm bekannte Umsturzpläne nicht angezeigt habe. Lampe, Dietze und Ritter wurden ins KZ Ravensbrück gebracht. Vor dem sicheren Todesurteil und der Hinrichtung rettete sie nur die Kapitulation und das Kriegsende. Dietze war, wie Böhm in einem Brief vom 10. Juni 1945 schreibt, "eine Stunde lang aufs unmenschlichste gepeitscht" und Goerdeler "wochenlang aufs unmenschlichste gefoltert" worden. "Ich selbst," schreibt Böhm, "bin der Verhaftung nur dadurch entgangen, daß ich mit einem Berliner Bekenntnispfarrer gleichen Namens verwechselt worden bin und keiner der Verhafteten und Verhörten etwas von meiner Existenz ausgesagt hat." Lampe starb später an den Folgen der Folterung. Eucken kam mit schweren Verhören davon.

Der dritte Freiburger Kreis, die Arbeitsgemeinschaft Beckerath, besetzt mit Wirtschafts-, Finanz- und Staatswissenschaftlern, beriet von 1943 an über eine künftige deutsche Wirtschaftsordnung. Neben Beckerath gehörten Böhm, Dietze, Eucken, Lampe und Erich Preiser der Gruppe an. Beckerath verfaßte ein Gutachten für den Übergang von der staatlichen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft in der Nachkriegszeit. Diese wissenschaftlichen Vorarbeiten legten den Grundstein dafür, daß sich der Aufbau der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland nach 1948 überhaupt so rasch vollziehen konnte. Kern ihrer Gedanken: Der Staat solle sich darauf beschränken, der Wirtschaft eine feste Ordnung (lateinisch ordo) zu geben, ihr einen Ordnungsrahmen zu setzen und die Wirtschaft sich in ihm frei entfalten zu lassen. Der Staat müsse sich der direkten staatlichen Eingriffe in den Wirtschaftsablauf, den Wirtschaftsprozeß enthalten.

Ordnungspolitik statt Prozeßpolitik, lautet diese "ordoliberale" Leitlinie. Mit Ludwig Erhard als erstem Bundeswirtschaftsminister wurde das Gedankengebäude dann zu einem guten Teil und erfolgreich in die Praxis umgesetzt. Als "Freiburger Schule" oder "ordoliberale Schule" ist diese Denkrichtung der nationalökonomischen Widerständler für eine freiheitliche Ordnung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zum Vorteil der Bürger das tragende Element. Heute harrt sie der Wiederbelebung, denn Politiker und Parteien mißachten sie nunmehr seit Jahrzehnten.

Foto: Adolf Lampe, Constantin von Dietze und Walter Eucken, um 1943: "Eine Stunde lang aufs unmenschlichste gepeitscht"

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen