© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Pankraz,
Klaus Töpfer und der sanfte Tourismus

Kürzlich besuchte Pankraz mit einem amerikanischen Freund ein malerisches Moselstädtchen, das berühmt ist für seine Weine, Burgen und zeitweise erschreckenden Hochwasserstände. Auf dem Marktplatz wartete eine niedliche, gleislose Bimmelbahn, mit der man Stadtrundfahrten machen konnte, inklusive Erklärung der Sehenswürdigkeiten durch einen Cicerone vom örtlichen Tourismusbüro. Der Amerikaner wollte unbedingt damit fahren, und so stieg denn Pankraz mit ihm in die knallgelbe Bimmelbahn.

Der Herr vom Reisebüro war sehr beredt und pries erwartungsgemäß die Weine und die Burgen. Was er aber noch lauter pries, das waren die vielen "opportunities" und "facilities", die es außerdem in seinem Städtchen gebe und die den Aufenthalt darin zu einem unvergeßlichen Erlebnis machen würden. Hier, in diesem lauschigen Seitental, habe man soeben einen erstklassigen Golfplatz für die Touristen angelegt. Dort oben, gleich neben der Burg, gebe es seit neuerem ein lustiges "Dschungelcamp" für die Kinder der Gäste, einige hundert Meter weiter beginne ein spektakulärer Wanderweg, pardon: Abenteuerpfad, mit Wildschweingehege. Usw. usw.

Es lag geradezu etwas Flehendes in der Stimme des Cicerone. "Kommt", so flehte sie, "kommt mindestens für einige Tage, noch besser aber für ein, zwei Wochen! Wir legen euch die Welt zu Füßen, ihr findet hier, zusätzlich zu den Weinbergen und Burgen, alles, was ihr auch zu Hause habt und was ihr gewohnt seid. Ihr müßt also auf nichts verzichten. Kommt, kommt! Für ein paar Euro oder Dollar gehört alles Euch."

Ähnliches Flehen kann man heutzutage buchstäblich rund um den Globus vernehmen. Der Tourismus ist zu einer gewaltigen, weltweit vernetzten Industrie geworden, noch das allerletzte Nest, auch wenn es weder Weinberge noch Burgen, sondern rein gar nichts hat, ist angeschlossen und möchte wenigstens einige Brosamen aus dem riesigen Tourismuskuchen erhaschen. Das Tourismusbüro ist überall zur wichtigsten Abteilung der Stadtverwaltung geworden und vielerorts direkt dem Bürgermeister unterstellt. Die Werbebroschüren, die ausliegen, haben alle Hochglanzformat.

Schlechte Zeiten für Abenteurer und Individualreisende. Es gibt faktisch keine unentdeckten Winkel mehr, höchstens noch (freilich oft riesige) politisch verordnete Sperrzonen, bzw. Kriegs- und Guerillagebiete, wo dann gleich die blauen Bohnen fliegen. Alles übrige ist aufgeteilt und ausgemessen. Es bleibt dem einzelnen, wenn er etwas besichtigen oder sonstwie "erleben" will, gar nichts anderes übrig, als sich irgend einer Pauschalgruppe anzuschließen und sich die Routinesprüche professioneller Reisebegleiter anzuhören. Alles andere wäre reine Zeitverschwendung, man würde am Ende doch wieder bei der Gruppe und ihren "Betreuern" landen.

Viel schlimmer als der Gruppenzwang ist ein weiteres Phänomen der Tourismusindustrie, das Pankraz - etwas riskant - als "Verwohnzimmerung" der Ferne bezeichnen möchte. Der Pauschal- und Gruppenreisende von heute möchte es während der "kostbarsten Wochen des Jahres" so bequem und spaßhaltig wie möglich haben, und das heißt: wie zu Hause im Fernsehsessel oder im Kegelklub. Die Tourismusindustrie bedient dieses Bedürfnis. Deshalb (siehe oben) der Golfplatz direkt zwischen Weinbergen, das Dschungelcamp direkt neben der historischen Ritterburg.

Die sogenannten Sehenswürdigkeiten, die im Prospekt an erster Stelle stehen, degenerieren gewissermaßen zum bloßen Fernsehbild. Ihre Aura verblaßt, der Genius loci ist mit Würstchenbuden und anderen "facilities" vollgestellt, und die einheimischen Kameltreiber und Bakschischeinnehmer haben sich ganz und gar auf den Geschmack der Touristen eingestellt. Diese bekommen nicht mehr zu sehen, was wirklich da ist, sondern nur noch das, was sie zu sehen erwarten. Das mitgebrachte Klischee rückt an die Stelle der autochthonen Wirklichkeit.

Ob das den Aufwand lohnt, der betrieben wird, ist durchaus die Frage. Gewiß, der Tourismus ist in zahllosen, gerade auch ärmeren Ländern und Regionen ein Wirtschaftsfaktor geworden, der gar nicht mehr weggerechnet werden kann. Ohne ihn würden ganze große Bevölkerungsschichten im Elend versinken. "Der Tourismus ist in vielen Gegenden die einträglichste, ja die einzige Entwicklungshilfe", konstatierte einmal der langjährige UN-Sekretär für Umweltschutz und Raumordnung, Klaus Töpfer, in Nairobi.

Derselbe Töpfer fügte allerdings gleich hinzu: "Ökologisch betrachtet ist die Bilanz der Tourismusindustrie negativ. Sie verbraucht zu viel Sprit. Sie füllt zu viele Flächen mit schlechten, abfallhaltigen Hotel-Anlagen. Sie steigert den CO²-Ausstoß. Wer während des Urlaubs zu Hause bleibt, nützt der Umwelt und leistet einen Beitrag zur Erhaltung des Weltkulturerbes."

Gemeint war mit letzterem die Erinnerung daran, daß ein Tourismus, welcher, ob er es will oder nicht, die Aura der Landschaften und Städte zerstört, der lediglich Klischees erzeugt und Unrat hinterläßt, natürlich auch nicht dem besseren Verständnis der Menschen untereinander dienen kann. Alle schönen Reden vom "friedlichen, unvoreingenommenen Kennenlernen fremder Völker und Kulturen durch Tourismus" drohen durch die reale Entwicklung dementiert zu werden.

So ist es nicht verwunderlich, daß in letzter Zeit immer lauter der Ruf nach einem "sanften" Tourismus ertönt. Was in Naturschutzgebieten bei der Beobachtung seltener Tierarten schon seit langem üblich ist, zum Beispiel zahlenmäßige und zeitliche Limitierung der Besuche, bedachtsames Schreiten der Besucher, präzise Voraus-Information für sie statt angeberischer Hochglanzprospekt - all das soll auch im allgemeinen Tourismus zur Regel werden.

In Zukunft also "sanfter Tourismus"! Eine Berliner Göre zu einem Touristen, der sie unerlaubt fotografieren will: "Watt denn, watt denn, ick steh unter Naturschutz, ick bin Weltkulturerbe. Halter jefälligst dran!"

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