© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Abgeschworen
Karl Heinzen

Üblicherweise wird das Sommerloch von nachrangigen Politikern dazu genutzt, durch forsche Sprüche ein wenig mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dieses Jahr jedoch bietet eine andere Sensation: Ein Prominenter, dem bislang alles Mögliche, vielleicht sogar die Kanzlerschaft zugetraut wurde, bekennt, daß er gar nicht so gerne im Rampenlicht steht und daran zweifelt, ob er höheren Aufgaben tatsächlich gewachsen wäre.

Was mag den CDU-Politiker Christian Wulff dazu bewogen haben, sich derart in Bescheidenheit zu üben, obwohl doch die Weichen auf ein stärkeres Engagement in der Bundespolitik gestellt zu sein schienen? Man macht es sich sicher zu einfach, wenn man nur seine bekanntermaßen nachdenkliche Wesensart als Erklärung bemüht. Eher wahrscheinlich ist, daß hier jemand, der eine klare Vorstellung vom Wesen politischer Macht in einer modernen Marktgesellschaft gewonnen hat, diese schlichtweg als nicht erstrebenswert betrachtet.

In diesem Bewußtsein kommt ein Generationenwechsel in der deutschen Politik zum Ausdruck. Wer wie Gerhard Schröder oder Edmund Stoiber in den 1960er Jahren politisch sozialisiert wurde und in der Ära der sozialliberalen Koalition erstmals in relevante Funktionen aufstieg, konnte noch das Gefühl haben, daß sich das Schicksal einer Gesellschaft im wesentlichen im Ringen der Parteien um die Schalthebel des Staates entscheidet. Die Nachgeborenen, die in den finsteren Jahren unter Kanzler Helmut Kohl ihren Karriereweg antraten, vermochten es schon nicht mehr, an diesem Glauben festzuhalten. Sie mußten vielmehr die bittere Erfahrung machen, daß die Übernahme politischer Verantwortung in einem Maße unerfreulich und unattraktiv ist, daß sie eigentlich nicht einmal Langzeitarbeitslosen zugemutet werden könnte.

Politiker werden schlechter bezahlt und sind zeitlich stärker in Anspruch genommen als Führungskräfte in der Wirtschaft. Sie sind permanent gezwungen, ein freundliches Lächeln aufzusetzen und um Sympathien zu buhlen - und stoßen dennoch auf eine unablässig wachsende Verachtung der Bürger. Vor allem aber verfügen sie gar nicht über die Gestaltungsmöglichkeiten, die man ihnen unterstellt und die sie sich vielleicht selber anfänglich erhofft hatten.

Dies gilt nicht zuletzt und besonders für das Amt des Bundeskanzlers, von dem aus sich vielleicht noch das Bundeskanzleramt, aber längst nicht mehr die deutsche Politik steuern läßt. Wen wundert es also, daß ein so sensibler und pragmatischer Kopf wie Christian Wulff diesem Karriereziel abschwört?

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