© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Kopfgeburten für leere Städte
Mitteldeutscher Städtebau
Claus-M. Wolfschlag

Wir befinden uns im demographischen Wandel. Besonders Mitteldeutschland ist von niedrigen Geburtenraten und Abwanderung betroffen. Aus Leerständen und Flächenabrissen müßten Stadtplaner eigentlich logische Konsequenzen ziehen: Gelenkter Rückbau und Renaturierung.

Um historische Bausubstanz zu retten, müßten also minderwertige Plattensiedlungen abgerissen werden, nicht saniert. Straßenzüge könnten durch optische Maßnahmen, zum Beispiel Mäuerchen und Hecken, zusammengehalten werden. Brachflächen sollte man, statt sie verwahrlosen zu lassen, schlicht umweltgerecht begrünen. Solch naheliegende Gedanken sind Stadtplanern und Politikern aber zu wenig prestigeträchtig, und so ruft man Künstler, um im öffentlichen Raum zu experimentieren.

Hiervon zeugt der Band "Die anderen Städte" zur Internationalen Bauausstellung (IBA) Stadtumbau 2010 mit Beispielen aus Sachsen-Anhalt. Architekten, Ärzte, Theologen und andere dürfen sich darin ihren Träumen hingeben. Omar Akbar, Geschäftsführer der Stiftung Bauhaus Dessau, und der Architekt Rüdiger Schulz geraten ins Schwärmen über allerlei Kunstinstallationen und Performances auf "neucodierten" Brachgeländen. Architektin Yvonne Doderer widmet sich der "Situationistischen Internationale", träumt von "nadelstichartigen Interventionen", vom "Widerstand von unten" unter Beteiligung von Künstlern. Sie bewundert den Kampf der "AktivistInnen der Hafenstraße" in Hamburg um die angebliche "Rückgewinnung urbaner Räume", bei Förderung durch die Kulturbehörde der Stadt. Ein bißchen subversive Kulturrevolte auf Steuergeldbasis also. Diplom-Pädagogin Leonie Baumann plädiert für die "autonome" und "freie" Kunstentfaltung gegen "faschistisch-ideologische" oder traditionelle Kulturbegriffe. Die "offene Kulturarbeit" zur "Emanzipation der Gesellschaft" wird von ihr ernsthaft als Mittel gegen die demographischen Probleme sachsen-anhaltinischer Städte ins Spiel gebracht.

Viel Untaugliches wird so im öffentlichen Raum installiert, das oft nur Vandalismus anheimfällt. Zwar ist auch Sinnvolles zu sehen, aber daß man etwa öffentliches Grün zur privaten Bewirtschaftung überträgt, nannte man früher schlicht Schrebergärten, nicht "Claims" oder gar Kunstprojekt. Die Bürger werden vielen der Kopfgeburten achselzuckend begegnen, so lange sie sich nicht vergegenwärtigen, daß das mit Geldern finanziert wird, die bei wichtigen städtebaulichen und denkmalschützerischen Maßnahmen fehlen werden.

IBA-Büro (Hrsg.): Die anderen Städte. IBA Stadtumbau 2010, Bd. 6 Stadt und Erbe. Jovis Verlag, Dessau, Berlin 2007, broschiert, 288 Seiten, Fotos, 24,80 Euro

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