© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Der Dolmetscher höchst überdrüssig geworden
Der Eiserne Kanzler Otto von Bismarck, der am 30. Juli vor 110 Jahren starb, bestach durch seine Vielsprachigkeit
Werner Lehfeldt

Bismarcks meisterhafte Beherrschung der deutschen Sprache ist oft gerühmt worden. Bereits im Reifezeugnis wurde ihm 1832 "eine sehr erfreuliche Gewandtheit" im Deutschen bescheinigt. 1915 schreibt Artur von Brauner, Bismarck sei "ein Stilkünstler, wie wir wenige in Deutschland gehabt haben. Mit Goethe hat er die Treffsicherheit des Ausdrucks gemein, die Stärke des Wortes. Wer seine Schriften liest, hat ein Empfinden reinen Kunstgenusses". Ähnlich lautende Zeugnisse lassen sich in großer Zahl beibringen.

In dem "Entlassungszeugnis" von 1832 heißt es: "Von den neueren Sprachen hat er die französische und englische Sprache mit besonderem Erfolge betrieben." Davon, wie begründet dieses Lob war, kann sich jeder Leser von Bismarcks Schriften überzeugen. Was das Französische anbelangt, so finden sich in Bismarcks Hinterlassenschaft zahllose Briefe, Berichte und Denkschriften, die in der damaligen Sprache der Diplomatie abgefaßt sind. In seiner ersten Zeit als preußischer Gesandter in Petersburg hat Bismarck selbst dem Prinzregenten und seinem vorgesetzten Minister umfangreiche französisch geschriebene Berichte zukommen lassen. Wie großen Wert Bismarck der Beherrschung des Französischen beimaß, hat er des öfteren ausgesprochen, so etwa in den an Johanna von Puttkamer gerichteten Briefen, in denen er seine Braut drängte, sich dieser Sprache zu befleißigen.

Von Bismarcks ausgezeichneten Kenntnissen der englischen Sprache zeugt bereits einer seiner ersten überlieferten Briefe, der auf englisch geschrieben ist. Mit seinem amerikanischen Freund John Lothrop Motley scheint Bismarck meist englisch gesprochen zu haben. In der englischen Literatur war er wohlbewandert. Byron und Shakespeare waren seine Lieblingsdichter. Arthur Böhtlingk, der dem Thema "Bismarck und Shakespeare" 1908 ein ganzes Buch gewidmet hat, bezeichnet den Kanzler als "des englischen Dichterkönigs getreuesten Lehnsmann". Bismarcks Briefe an viele Adressaten und seine politischen Reden enthalten an ungezählten Stellen englische Passagen, bei denen es sich nicht selten um Skakespeare-Zitate handelte. Es ist wohl nicht übertrieben, zu behaupten, daß jemand, der Bismarcks politische Schriften studieren will, vorher ein gründliches Shakespeare-Studium absolvieren sollte. Darüber, daß Bismarck auch das gesprochene Englisch ausgezeichnet beherrschte, gibt es zahllose Zeugnisse. Im Oktober 1891 besuchte der Schriftsteller Sidney Whitman den gestürzten Reichskanzler in Varzin und notierte anschließend, daß "er diese Sprache vollkommen beherrschte und sie ohne die geringste Spur eines deutschen Akzents aussprach".

Das Französische und das Englische sind zweifellos diejenigen modernen Fremdsprachen, die Bismarck am besten beherrschte und derer er sich sein Leben lang lesend, schreibend und sprechend bediente. Bemerkenwert ist, daß sich Bismarck auch mit dem Polnischen beschäftigt hat. In den an seine Braut gerichteten Briefen finden sich bisweilen polnische Anredeformeln und einmal auch ein expliziter Hinweis auf das Studium einer polnischen Grammatik. Als Reichskanzler äußerte er 1883, der König solle eigentlich Polnisch können. Schließlich habe er doch zwei Millionen polnische Untertanen.

Am 1. Februar 1859 wurde der bisherige Vertreter Preußens beim Bundestag zum Gesandten am Zarenhof ernannt, "an der Newa kaltgestellt", wie es Bismarck empfunden und ausgedrückt hat. Diese Ernennung war für ihn der Anstoß, die russische Sprache zu erlernen, womit er noch in Frankfurt am Main begann. In Petersburg angekommen, setzte Bismarck sein bisher autodidaktisch betriebenes Russischstudium in systematischer Weise fort. Dazu engagierte er einen Russischlehrer, den Jurastudenten W. Alexejew, der 1895 seine "Erinnerungen des ehemaligen russischen Sprachlehrers des Fürsten Otto von Bismarck" publizieren sollte. Hier erfahren wir, weshalb Bismarck die russische Sprache erlernen wollte: "Ich weiß wohl, daß sie einem Ausländer Schwierigkeiten bietet, besonders die Aussprache; ich habe mich aber entschlossen, allmählich die Dolmetscher, die Alles hören und sehen, was man thut, loszuwerden; ich bin ihrer höchst überdrüssig geworden".

Nach der Bewältigung der Grundlagen der Grammatik bestand der Unterricht in der Lektüre russischer Bücher und der Erklärung der dabei vorkommenden Wörter. Als erstes las und übersetzte Bismarck mit seinem Lehrer Turgenevs Roman "Das Adelsnest". Es blieb aber nicht bei der schönen Literatur. So lasen der preußische Gesandte beim Zarenhof und sein Lehrer etwa "Die Glocke" von Herzen und "Die Zukunft" des Fürsten Dolgorukov. "Dergleichen damals streng verbotene Journale erhielten die Botschafter censurfrei", wie W. Alexejew schreibt. Wenige Monate vor seiner Ernennung zum preußischen Ministerpräsidenten kannte Bismarck gemäß dem Zeugnis seines Lehrers die russische Sprache "so weit, daß er frei die russischen Zeitungen übersetzen konnte, obgleich er nicht geläufig sprach, sondern mit Stockungen, als ob er das passende Wort suche; er sprach indeß ziemlich korrekt".

Bismarck selbst hat später unterstrichen, daß er insbesondere mit der russischen Volkssprache einigermaßen vertraut gewesen sei. Aber auch bei Hofe waren ihm seine Russischkenntnisse von Nutzen, so als er eine Anweisung Gortschakows an dessen Diener belauschte, die dem widersprach, was der russische Kanzler vorher Bismarck gegenüber geäußert hatte. Schriftliche Spuren von Bismarcks Russischkenntnissen finden sich in der Korrespondenz mit der Gattin, selbst noch zu einer Zeit, als die Petersburger Periode längst der Vergangenheit angehörte. Besonders bemerkenswert ist, daß sich Bismarck selbst bei der Beschäftigung mit amtlichen Schriftstücken, die er als Reichskanzler zu bearbeiten hatte, in Randbemerkungen manchmal der russischen Sprache bedient hat. Offenbar konnte er darauf rechnen, daß einige seiner Kollegen und Beamten diese russisch geschriebenen Marginalien verstehen würden.

 

Prof. Dr. Werner Lehfeldt lehrt Slavistische Sprachwissenschaft an der Universität Göttingen und ist Vizepräsident der Göttinger Akademie der Wissenschaften

Abbildung: Otto von Bismarck während seiner Zeit als Gesandter in St. Petersburg (1859-1862): "Von den neueren Sprachen hat er die französische und englische Sprache mit besonderem Erfolge betrieben"

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